Josef Schoppelt


Es fällt mir schwer zu sagen zu welcher Kategorie Mensch dieser Mann einzustufen ist. Zu einer Persönlichkeit? Zum einfachen Handwerkermeister? Zum einfachen Familienvater? Zum Chronisten? Ich denke er war von jedem ein bisschen, aber vor allem Mensch. Er war einer der vielen Söhne der Stadt auf die wir Mühlbacher stolz sein können, aber auch sollen.

Josef Schoppelt gehörte zu jenen Personen unserer Stadt die unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen. Warum sage ich das? Der Grund ist dass wir diesem Mann zu verdanken haben eine genaue Beschreibung aus einer gewissen Zeitspanne in der Geschichte der Stadt zu haben, die uns in vielen Fällen sehr genau die Umstände des wirklichen Lebens in Mühlbach beschreibt. Es wird nichts verschönt oder gehuldigt, die Schilderungen beziehen nahezu alle Themen des Lebens zu jener Zeit ein.

Des Weiteren war er ein Handwerkermeister dessen Erzeugnisse weit über die Stadtgrenzen begehrt waren, man bedenke dass zur sächsischen Männertracht auch selbstverständlich Stiefel gehören. Seine Beteiligung am öffentlichen Leben, seine Mitgliedschaft in mehreren Vereinen und nicht zuletzt als Zunftmeister der Tschismenmacher-Zunft, bestätigen die Bedeutung dieses Mannes für unsere Stadt.

Ich werde Ihnen jetzt einen kleinen Einblick in seine Biografie geben. ( In seinem Buch ausführlicher)

Horst Theil

  

 

Schoppelt 

Josef Schoppelt

1837 –  1929

Josef Schoppelt wurde 1837 in Mühlbach/Siebenbürgen geboren. Mit sieben Jahren 1844 besuchte er die Schule von Mühlbach bis im Jahre 1851.

Als vierzehnjähriger, im Jahre 1851, begann er eine Lehre zum Kürschner, die er aber abgebrochen hatte und bei seinem Vater den Beruf des Tschismenmacher (Stiefelmacher) erlernte.
Im Jahre 1854 wurde er zum Gesellen freigesprochen. 1860 machte er den Meister. Im selben Jahr heiratete er seine Ehefrau: Luise geb. Nössner.

Seine Werkstatt befand sich am großen Platz und war geräumig und gut gelegen.

Er beschäftigte vier Gesellen und zwei Lehrbuben.

1880 Gab er die Werkstadt auf und beschäftigte sich weiterhin mit der Landwirtschaft so wie dem Weinbau.
Josef Schoppelt war in mehreren Vereinen Mitglied, z. B. im Vorschussverein, der mit niedrigen Zinsen  den Handwerkern half an billiges Geld zu kommen.  Er war der letzte Zunftmeister der Tschismenmacher (Stiefelmacher) in Mühlbach und legte das Geld aus der Zunftauslösung für soziale Zwecke an.

Aus seinem erlebnisreichen Leben schildert er dann in seinen „Erinnerungen“ die spannenden Veränderungen in dieser Zeit.

Josef Schoppelt starb im Jahre 1929 in Mühlbach.

Quelle:

 

Erinnerungen aus den Jahren 1848 bis 1910 in Siebenbürgen

Autor: Josef Schoppelt

Herausgeber: Otto Rodamer

Verlag: Books on Demand

 

 

Erinnerungen aus den Jahren 1848 bis 1910 in Siebenbürgen ( Folge 1)


Der Ganze Inhalt dieses Buches bezieht sich auf die Stadt Mühlbach in Siebenbürgen (Rumänien).  Ich werde ihnen einige Auszüge aus diesem Buch, mit der Genehmigung des Herausgebers Otto Rodamer, zum lesen anbieten. Der Autor Josef Schoppelt war ein gebürtiger Mühlbacher Handwerkermeister der seine Lebenserinnerungen aus dieser Stadt, auf die Bitte seiner Familie und anderer, sich entschloss diese Zeilen zu Papier zu bringen.

Auszug aus dem Buch:

– Erinnerungen aus den Jahren 1848 bis 1910 in Siebenbürgen –

Autor: Josef Schoppelt

Herausgeber: Otto Rodamer

 Verlag: Books on Demand

Die Schule

Mit sieben Jahren wurde man eingeschult. Die Anfänger lernten in den Jahren um 1840 das ABC zu schreiben und bis auf hundert zu zählen und das ABC bis ans Ende mit Selbst- und Mitlauten zu verbinden und zu schreiben. In der zweiten Klasse lernten sie erst Worte buchstabieren, lesen, schreiben, sowie die einfachen 4 Spezis, Rechnen und das Einmaleins. In den beiden ersten Klassen sagte der Lehrer den Kindern einen Spruch beim Nachhausegehen, den sie im Sinn halten mussten, bis sie wieder zur Schule kamen und ihn dem Lehrer sagen mussten. Auch musste jeder Schüler sich ein Schreibheft aus einem Bogen Schöpfpapier  (aus der damaligen Strungarer Papiermühle in Mühlbach) machen, der Bogen kostete einen Kreuzer und seinen Namen selber schreiben mit Gänsefedern, die der Lehrer jedem zuschneiden und jedes Mal, wenn die Feder nicht mehr gut schrieb, mit dem Federmessen Nachschneiden musste. Mit den Gänsefedern behalf man sich bis zum Jahre 1850, wo dann die Stahlfeder sie verdrängte und den Lehrern die Last abnahm, nämlich das Spitzen der Federn. Die dritte Klasse hatte damals einen akademischen Lehrer, David Krasser und bestand aus zwei Jahrgängen aus dem man dann ‚ins Latein‘ oder in die damalige Realschule ging. Die Schüler der dritten Klasse mussten im Winter schon um 6.00 Uhr, im Sommer von 7.00 – 10.00 Uhr in der Schule sein, wobei man sich kleiner, runder, selbst gemachter Papierlaternen bediente und bei Licht die so genannte ‚Preces‘ abhielt mit Gesang und Gebet und dann spielte bis 7.00 Uhr. Dann wurden die Arbeiten durch die vier ‚Notatoren‘ und den Imperator geprüft und auf die große Tafel ihre Leistungen mit Kreide verzeichnet. Die mit 6 Fehlern wurden als faul und mit sechsmal faul in der Woche, am Samstag vor dem Judicum mit 6 Rutenstreichen auf den Bloßen bestraft. Die mit weniger Fehlern wurden mit dem spanischen Rohr oder Lineal von dem Lehrer in der Klasse bestraft. Der inspizierende Schulinspektor war der damalige Stadtpfarrer Fritsch, schon ein hoher 70er. In der Realschule, aus der 5. Klasse, löste Herr Friedrich Kraus den Herrn Karl Mauksch ab. Das war im Jahre 1850. In der Realschule blieb man in der Regel zwei Jahre, bis man ein Handwerk erlernte. Man lernte auch sehr viel für den eigentlichen Bürgerstand, moderne Rechnungen, bürgerliche Aufsätze, Orthographie, Fremdsprache. Schulstunden wurden, wie erwähnt wurde, in den höheren Klassen im Winter schon um 6.00 Uhr angefangen bis 10.00 Uhr, wo wir unser Frühstück, bestehend aus Brot, Nüssen, Äpfeln, gebratenen Erdäpfeln (Kartoffeln) nach der ‚Preces‘ verzehrten, also bis 7.00 Uhr, wo die Überprüfung der Aufgaben , wie schon erwähnt wurde, durch den ‚Notator‘ anfing und bis zum Erscheinen des Lehrers dauerten, das war um 8.00 Uhr. Im Sommer war von März bis Ende Oktober die Frühkirche, wozu geläutet wurde. Mittwochnachmittag war keine Schule, Samstagnachmittag von 1.00 – 2.00 Uhr gewöhnlich ‚Judicum‘, Sonntag von 9.00 – 10.00 Uhr Evangelium, welches erklärt wurde und welches wir mit der Zeit auswendig lernten. Die Deutsche Vorstadt hatte in der Quergasse ihre eigene Schule, von wo man in die Stadt promoviert wurde. Mädchenschule gab es nur eine Klasse unter dem Lehrer Gelch.

– FORTSETZUNG FOLGT –

Die Möglichkeit dieses Buch zu erwerben:

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Weblinks. Seiten in deutscher und rumänischer Sprache.


Deutsch (germana)

http://www.siebenbuerger.de/ortschaften/muehlbach/

http://www.vfwkwb.org/index.php/freiburg/publikationen/81-die-auswanderung-aus-suedbaden-nach-siebenbuergen

http://www.siebenbuerger-sachsen-hog.de/index.html

http://www.ekmb.ro/

http://www.stadt-buedingen.de/familienstadt/freizeit/partnerstaedte-uebersicht/sebes-in-rumaenien

http://www.rumaenien-tourismus.de/sebes.html

http://www.sibiweb.de/orte/muehlbach/

http://www.stadtbild-deutschland.org/forum/index.php?page=Thread&threadID=4963

http://www.liederlexikon.de/lieder/es_sass_ein_klein_wild_voegelein

http://members.aon.at/fresh/namensemantik.htm

http://www.trafficguide.ro/camere-live/sebes

http://www.eduardschneider.com/

http://www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/rumaenien/13879-dem-himmel-ganz-nah-unterwegs-auf-der.html

Rumänisch (romana)

http://www.transalpina.biz/

http://transilvanialive.ro/live-stream

http://ro.wikipedia.org/wiki/Sebe%C8%99el,_Alba

http://www.primariasebes.ro/

http://www.valeasebesului.ro/

http://www.ekmb.ro/

http://www.trafficguide.ro/camere-live/sebes

 

Interessante Abschrift aus : memoria.ro


Memoiren aus dem Leben des Majors Julius Metz des K.u.k. Infanterienregiment no. 43

Autor: Julius Metz

 

 

Die Memoiren des Majors Julius Metz enthalten einige Unstimmigkeiten betreffend Orthographie und Topik. Einige Einzelheiten betreffend des Liebesleben und des Familienleben des Majors wurden ausgelassen. Die Namen der Orte aus dem heutigen Rumänien, Serbien, Tschechei u.a. sind in verschiedenen Arten geschrieben. Bei Nummerotierungen werden auch arabische, auch römische Zahlen benützt. Die Abkürzungen sind leicht zu entziffern; zum Beispiel wird für Batalion die Abkürzung Baon benützt. Seine Tochter Edith, meine Mutter, heiratete den banater rumänischen Rechtsanwalt Dr. Virgil Simon in 1932. Mein Grossvater Julius starb im Jahre 1942. Prof. Dr. Zeno Simon

Im Mühlbach in Siebenbürgen am 19 Feber 1878 geboren als Sohn des Stadtsprediger Ferdinand Metz und dessen Ehegattin Josefine, geboren Koch, kam ich im Jahre 1882 nach Kelling wohin mein Vater als Pfarrer gewählt wurde. Auf die Übersiedlung kann ich mich nicht mehr errinern. Als wir in Kelling waren, kaufte mein Vater 2 Pferde, 6 Büffelkühe, Schweine, Schafe und einen groβen Wohnhaus mit Blumengarten. Ein altes Gebäude, Stall, Schopfen, Wagenremiesen und Schweinställen und Schafstall unter diesem Gebäude und in einen Nebengebäude, wo ein älterer Verwandte, etwas Narr, wohnte.  Es waren sehr viele Ratzen, welche sogar den Büffeln den Schwanz frassen. Dann 2 groβe Gemüse- und Obstgarten in welcher wir, 6 Geschwister, natürlich viel herumtollten und viel Obst assen.

Als 5 Jähriger Bub ging ich, da kein Kindergarten war, in die Schule ohne Bücher, damit meine Mutter mich für kurze Zeit frei wurde, denn ich war ein nicht besonderes braves Kind, nach dem ich immer bei den Haustieren auf dem Aufboden und im Hof herumtrieb und meine Mutter Angst hatte dass mir etwas geschehen könnte. Als ich 6 Jahre wurde kam ich dann als ordentlicher Schüler  in die erste Klasse in Kelling. Das Lernen machte mir keine besondere Freude, mehr die Wirtschaft und Aufenthalt in Freien.  Da kam es oft vor, dass ich nicht in die Schule ging, sonder entweder in die Burg um  Uhunester auszunehmen, oder in den Bach mit wenig Wasser barfuβ in Wasser herumzuwaten, oder Fischel zu fangen. Einmal sollte ich einen Regenschirm des Rektors in der Früh zurücktragen, aber ich versteckte diesen in einen Steinhaufen und ging wieder  neben die Schule. Als der Rektor abends zu uns kam, suchte er seinen Schirm, worauf meine Mutter ihn fragte ob ich denn nicht in der Früh in die Schule brachte, was er verneinte. Natürlich war ein groβer Krach und ich bekam von meiner Mutter eine Tracht Prügel. Hier muss ich bemerken dass meine Mutter uns Kinder erzogen hat, da mein Vater für uns zu weich war und durch sein Amt und Politik, die er stark berieb, keine Zeit für uns hatte. Nur am Abend, wenn wir nach dem Nachtmal um ihn waren, erzählte er uns immer Märchen; zum Schluss rauften wir Buben uns wer ihm die Schuhe und Hosen ausziehen wird.

Mit dem 7. Jahr kam ich dann in die zweite Klasse nach Mühlbach und in die Kost zu meinem Grossvater, pensionierter Pfarrer, Ferdinand Metz Senior und Mili Tante, welch ihm die Wirtschaft führte, da die Grossmutter und der Mann von der Mili Tante, der auch Pfarrer in Petersdorf war gestorben waren . Im Mühlbach gab es ein strenges Regiem. Grossvater und Mili Tante liesen mich nicht früher spielen gehen bis ich nicht meine Aufgaben gelernt hatte. In der Schule ging es mir immer gut, die Lehrer hatten mich gerne und ich durfte auch Violinspielen lernen.  Zu Grossvater kam eine französische alte Jungfer öfter zur Jause, von der wir Französisch lernten. Nach vier Jahren starb sie und wir vergassen schön langsam auch das Französische.

Natürlich war für mich nunmehr die Ferien die grösste immer ersehnte Freude, um zu Hause mit meinen Lieblingen (Haustieren) und Wirtschaft spielen zu können. In Kelling wohnten auch bei uns die Grosseltern mütterlicher Seite, Josef Koch und Frau. Ersterer war ein sehr lieber Grossvater, hatte speziell mich, als erstgeborenen Sohn, lieber als die anderen Enkeln, welche ihn auch gerne sekierten. Ich war immer gut und half ihm mit Vorliebe in der Kellerwirtschaft, welche er versah, da mein Vater Wein  kaufte und in die Officiersmenagen nach Karlsburg und Broos verkaufte. Der Grossvater brannte uns Kindern auch oft Zucker für Husten.

Dafür konnte ich die Grossmutter nicht leiden, welche ich oft sekierte und dafür von Mutter immer Schläge bekam, denn wenn die Elter fort waren und ich meine Geschwister a pisserl zupfte, so kam ich oft mit der Grossmutter  inKolusin, welch mich dann der Mutter verklagte und ich natürlich der Prügelknabe war. Überhaupt kann ich mich gut errinnern dass, für alle und für alles Schlechte was meine Geschwister und Verwandten auf Urlaub im Hof oder Garten machten, ich Schläge bekam. Z.B.  weil mein jüngster Bruder Walter zu viele  Äpfel ass oder auf die Leiter stieg oder von wo herunterfiel, war ich immer Schuld und bekam am Allerwertesten, den meine Mutter schlug uns nur dorthin, nie am Kopf oder Rücken.

Auf Urlaub half ich schon als 8 jähriges Kind fleissig mit. Ich wurde als Aufsicht oder zum Frucht und Heuteilen verwendet, musste oft schon um 3 Uhr früh aufstehen und aufs Feldteilen fahren, später konnte ich schon als 10 jähriger Junge einen Heuwagen oder Fruchtwagen laden.

Kutschieren und reiten erlernte ich sehr schnell, so dass ich schon als 10 jähriger allein mit dem Wagen nach Mühlbach fahren durfte und dabei flogen die Pferde nur so. Einmal führte ich meinen Vater nach Hermannstadt statt in 7 in 5 Stunden ohne Rast.

Mein Vater kaufte die erste Drehmaschine mit Pferdebetrieb und da war es mein Hauptvergnügen die Pferde an die Leistangen zu spannen und mit meinem Bruder Hermann jeder hinter Pferd im Kreise herumzuwandern. Den Pferden wurden die Augen zugebunden damit sie nicht schwindling werden. Im Garten half ich beim Umgraben und Anpflanzen mit. Ebenso im Herbst beim Einheimsen.

Oft sah ich die Prügel kommen, da rettete ich mich auf einen hohen Pappelbaum, so hoch dass meine Mutter Angst bekam und mir versprechen musste mich nicht nicht zu prügeln, wenn ich herunterkomme. Dieses wendete ich immer an um der Schläge zu entgehen.

Wir hatten viele Schweine und einmal sogar 200 Schafe, da war es meine grösste Freude als 8 jähriger diese zu hüten auf dem ans Haus anschliessender grassiger Berg. Wenn man mich damals fragte- was willst du werden?- sagte ich immer Schweinhirtsmajor und siehe dass Schicksal  wollte so haben, dass ich wirklich Major wurde und hatte auch tatsächlich auch oft mit zweifüssigen Schweinen zu tun.

In der Wirtschaft hatte ich von meinen Grossvater so viel gelernt, dass ich, als er starb, diese selbst führte und zu jeden Weihnachts- und Osterurlaub und im Sommer die Weinwirtschaft mit dem Bruder Hermann und Knecht besorgte. Als das alte Gebäude abgerissen wurde, wimmelten die Ratten nur so, wir versuchten alle Arten sie zu vertilgen, hängten z.B. einer Ratte ein Glöcklein an den Hals und liesen sie ins Loch laufen, damit die anderen durchgehen sollten; es nützte nichts. Dann begossen wir einige mit Petroleum und zündeten sie an und liessen sie ins Loch hinein, was sehr gut wirkte, denn die Ratten verschwanden; dass war ja natürlich für uns immer ein Spiel.

Alle Arten von Tauben kaufte ich in Mühlbach und brachte sie nach Kelling. In Kelling ist eine alte Burg, noch als der Türkenzeit, wo die Familien ihre Zimmer und Speckkammer hatte; zu meiner Zeit hatten sie noch immer die Speckkammer zu Benützung. Auf den alten verfallenen Mauern und Türmen bin ich auch oft zum Schrecken der Leute herumgekrochen; wie oft durfte ich die Glocken treten und ziehen.

Mein Vater und wir 5 älteren Kinder (Walter war noch zu klein), dann der Prediger und sein Sohn, der mein Schulkammerad war, waren alle musikalisch, musizierten aus den Regensburger Liederbuch viel und besorgten auch die Kirchenmusik; ich sang damals sehr gut Soprano. In der Kirche machte ich mit einem reichen Bauern oft Lärm hinter der Orgel, so dass mein Vater oft von den Predigsstuhl hinaufrief, es soll Ruhe sein. Nachher gab es zu Hause wieder eine Tracht Prügel, denn es hies immer: der Julius hut Lärm gemocht met dem Bulkescher Misch.

Einmal machte die ganze Familie mit Hermannstädter Gästen einen Ausflug in das Mühlbachtal  auf eine kleine Insel, dort peitschte ich ein Pferd so lange bis es in den Bach sprang und schwer herausgezogen werden konnte. Aus Angst lief ich dann 3 Stunden zu Fuss bis nach Hause und versteckte mich auf den Heuboden. In der Früh, als mein Vater aufstand verkroch ich mich unter dass Bett, von wo mich der Vater mit der Peitsche heraushollte und mich gut durchwackelte. Dies war das einzige mal dass mich mein Vater im ganzen Leben schlug.

Im selben Sommer kamen von Wien Anverwandte mit einem Zehnjährigen Sohn zu Besuch nach Kelling, dieser Lauser schüttelte von einem Birnbaum, den mein Vater uns verbotten hatte anzurühren, die Birnen, welche noch unreif waren herunter und dafür drohte mir der Vater mich zu strafen. Als das hin ging, es war schon fast dunkel, von zu Hause fort, mit dem Bemerken ich käme nicht mehr zu Hause, in den Wald, wo ich über Nacht beim Waldhüter zubringen, und dann morgens weiter nach Hermannstadt wollte. Nachdem ich wirklich bis spät nachts nicht nach Hause kam, schickte die Mutter Knecht und 2 Mägde mit Laternen mich im Wald suchen und fanden mich beim Waldhüter schlafen.

Ein anderesmal war ich mit einem Pferd beim Schmied dieses beschlagen zu lassen. Als es fertig beschlagen war, setzte ich mich aufs Pferd um nach Hause zu reiten. In dem Moment als ich mich hinaufschwang, schreckte es, und galopierte mit mir davon, ohne ich den Halfter in der Hand hatte, ich hielt mich nur an der Mähne und spielte den Zirkusreiter, wie ich es in einen solchen sah. Die Dorfleute schrien: aufhalten, aufhalten, ja aber das Pferd konnte jedem schön ausweichen, so dass ich hin und her wackelte, bis ich vor der Stalltüre glücklich ankam, welche zu meinem Glück zugemacht war, ansonsten ich bestimmt mit abgerissenen Schädel tot gewesen wäre.

Auf das hin war das ganze Dorf der Meinung ich müsse zu den Husaren, denn ich hätte bewiesen dass ich gut reiten kann.

Ein weiteres Ereigniss war es immer wenn wir, 4 Brüder, der Herde am Abend entgegen gingen und jeder auf einer Büffelkuh nach Hause ritten, stehend, kniend und sitzend.

Die Weinlese war auch immer ein Fest für uns Kinder. Da wurde natürlich Most getrunken, dass nächsten Tag anständige Diharö (sächsiche Schwuz genannt), es wurden Feuer gemacht, Kartoffel gebraten, Speck und Käse gegessen und die älteren Herrn tranken sich gewönlich einen Schwips an, dabei wurde gesungen und getanzt, den der Dorfzigeuner fand sich auch immer ein uns spielte dort wo er eine lustige Gesellschaft beisammen sah. Viel Arbeit gabs im Sommer mit den Ernten, Heuernte, Fruchternte, Kukurutzernte, wo wir Kinder immer früh aufstehen und aufs Feld mussten teilen, denn wir hatten unseren Grund allen um ein Drittel (Heu) um die Hälfte Frucht und Kukurutz in Arbeit gegeben.

Einmal hatten wir 200 Joch Grund und Wiesen, später kam die Komasation, und nachdem sich der Herr Ingenieur verrechnet hatte, konnten wir nicht mehr so viel Grund bekommen und wir bekammen nur 65 Joch des besten Grundes knapp an der Gemeinde. Da hatten wir es auch leichter mit den Ernten, aber leider nicht mehr so viel Einkommen.

Als mein Vater nach Kelling als Pfarrer gewählt wurde, kaufte er immer den Grund jener verschuldeten Sachsen oder jener die nach Amerika auswanderten, auch von Nachbarort Rätsch, damit der sächsische Grund nicht in romänische Hände komme, denn damals kauften kauften schon die Romänen Grund zusammen und siedelten immer mehr Romänen in der nähe von Kelling in Dial an. Mein Vater erzählte uns dass z.B. im Jahre 1848 in Kelling nur ein Romäne war, den unser Grossmutter als Hirte und Käsemacher brachte  und im Jahre 1895 waren in Kelling um 675 sächsische Einwohner und 800 romänische und ? Stunde von Kelling, in Dial war eine Gemeinde, nur Romänen, von 1000 Einwohner entstanden.

Wenn ich von Mühlbach nach Hause auf Urlaub kam bin ich viel mit meinem Vater, der Dechant war, als Kutscher auf die Gemeinde gefahren, damit der Knecht zu Hause arbeite, was meine schönste Urlaubsbeschäftigung war. Es war eine schöne Kinderzeit die ich in Kelling verbrachte.

Einmal sollten aus Broos und Mühlbach 16 Freundinen meiner Schwester Adele und Hermine besuchen. Ich wurde mit einem langen Leiterwagen nach Mühlbach geschickt um diese Gesellschaft nach Kelling zu bringen. Als ich nach Mühlbach kam waren dort noch 6 Herrn, wie sollte ich diese nun alle auf den Wagen bringen? Da legte ich Bretter als Sitze auf und brachte alle auf den Wagen zur allgemeinen Belustigung in Mühlbach und Kelling, dabei lies ich sie aber beim Bergrauffahren immer alle absitzen, weil ich meine Pferde bedauerte; am meisten freute es mich dass die Mädel zu Fuss gehen mussten, denn ich konnte die Mädel damals  gar nicht leiden, weil sie mich damals alle küssen wollten, dass ich mich Hände und Füsse sträubte. Ich rächte mich dann in Kelling in dem ich die Herrn verleitete, die Mädel, wenn sie sich ausziehen, da sie alle in grossen Zimmer auf Stroh auf der Erde schliefen, zu überraschen, in dem ich den Buben, es war ja lauter Studenten, an jedes Fenster eine Leiter stellte, damit sie beim Fenster hinein sehen können, was auch geschah und ich von der Mutter Schläge bekam. Damals waren 30 Gäste drei Tage an Kellinger Pfarrhof. Ich und Hermann und Fredi hatten damals viel zu tun. Die Bande hatte uns damals 500 Liter Wein ausgesoffen und dazu noch unseren guten Riebisel- und Wehrmutwein. Die Studenten waren fast alle jeden tag nach dem Mittagessen betrunken und mussten sich im Garten ausschlafen. Meine Mädchenfeindschaht sollte sich bald in eine grosse Mädelfreundschaft verwandeln. Darüber später.

 Abschrift  Ende.

Abgeschrieben : Horst Theil

Quelle : memoria.ro

Ankündigung !


Erinnerungen aus den Jahren 1848 bis 1910

In Siebenbürgen

Der Ganze Innhalt dieses Buches bezieht sich auf die Stadt Mühlbach in Siebenbürgen (Rumänien).  Ich werde ihnen bald und Zeitversetzt, einige Auszüge aus diesem Buch, mit der Genehmigung des Herausgebers Otto Rodamer, zum lesen anbieten. Der Autor Josef Schoppelt war ein gebürtiger Mühlbacher Handwerkermeister der seine Lebenserinnerungen aus dieser Stadt, auf die Bitte seiner Familie und anderer, sich entschloss diese Zeilen zu Papier zu bringen.

Das Buch handelt von der Strukturierung, den Bedingungen und Art des Lebens in der Zeitspanne zwischen den Jahren 1848 bis 1929 in Mühlbach.

Ich spreche hiermit meinen Dank an den Herausgeber aus, für die Genehmigung Auszüge aus diesem Werk auch in digitaler Form bekannt zu machen.

Ich möchte den Lesern dieser Seite hiermit die Empfehlung aussprechen, dieses Buch zu erwerben und zu lesen. Es ist eines der sachlichsten Beschreibungen der Bedingungen und Lebensweise der Mühlbacher Bevölkerung von einst. (Alte Begriffe sind vom Herausgeber erläutert)   

Das Buch kann hier bestellt werden: http://www.book-on-demand.de/catalog

oder:

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so wie in allen Buchhandlungen!

 

Horst Theil

Zigeuner


Zigeuner

 – Wanderzigeuner –

Mancher wird sich wundern warum ich einen Artikel über Zigeuner schreibe. Ganz einfach. Wenn wir über Mühlbach sprechen, und seine Geschichte rückblickend betrachten, werden wir feststellen dass diese Volksgruppe seit frühester Zeit eng mit dem Leben und Geschehen in unserer Stadt verbunden und verwoben war und heute noch ist.

Nach neuesten Feststellungen ist belegt dass Mühlbach eine der größten zusammen hängenden Siedlungen mit Zigeunerischer Bevölkerung  besitzt.

In der Vergangenheit dienten viele Zigeuner in der sächsischen und durlacherischen Bevölkerung von Mühlbach als Knechte, Mägde und Waschfrauen. Desgleichen verrichteten sie auch Gelegenheitsarbeiten wie: Holzsägen und spalten, Arbeiten auf dem Hof  und im Garten, das Klosett zu entleeren und noch andere Arbeiten. Das gilt nur für die In Mühlbach ansässigen Zigeuner, nicht für die Wanderzigeuner. Für die Zigeuner gilt das Motto „ Wenn es mir heute gut geht dann bin ich Glücklich und zufrieden, was morgen ist werden wir sehen“.

Sie zeigen es gerne wenn sie Geld haben und kaufen immer das Beste und größte egal was es ist, das größte Huhn, das größte Schwein oder Lamm,  sogar den größten Fernseher.

Dazu möchte ich ihnen eine kleine Begebenheit erzählen.

Ich war im letzten Lehrjahr zum Beruf des Elektrikers bei der Handwerkervereinigung Unirea. Ein da beschäftigter Zigeuner sprach mich an ob ich gewillt sei im einen Fernseher zu installieren mit Antenne und allem was dazu gehörte.

Mein Meister sagte ich sollte doch gehen und dem armen Teufel helfen denn er hat viele Kinder und verdiene nicht so gut. Na ja ich ging in die Ziganie und fand auch seine Hütte.

Er wusste schon bescheit und wartete schon, da die Kundschaft sich rasend schnell verbreitete (vine curentaru). Wahrscheinlich hatte er schon damit geprallt.

Der Empfang viel herzlich aus. Als erste Maßnahme wurden die eigenen und die Nachbarkinder verscheucht um nicht den „ Curentar“ zu belästigen.

Ich nahm meine Werkzeugtasche vom Fahrrad und folgte ihm in die Hütte. Die bestand nur aus einem Raum (mit Frau und 5 Kindern). Aber was sah ich da? Er hatte tatsächlich den Größten damals erhältlichen Fernsehapparat auf dem Tisch stehen, einen „ Opera“.

Daneben auf dem Boden die größte Antenne für terrestrischen Empfang (mit 12 Elementen) obwohl auch eine kleinere ausreichend gewesen währe. Na gut. Als nächstes wurden die Kinder und Nachbarn die sich in windes Eile am weit offen stehendem Fenster versammelt hatten wieder angemahnt man solle doch nicht auf SEINEN NEUEN Fernseher starren und den Herrn „Curentar“ stören, den schließlich und endlich wäre diesem sein Beruf nicht Strassen kehren wie ihrer. Na prosit. Ich fing an die Antenne zusammen zu bauen. Als ich damit fertig war fragte ich wo den der Fernseher stehen soll. Na ja der sei noch nicht fertig, ein Freund von ihm wollte ihm einen anfertigen, und bis dann soll er auf den Kleiderschrank. Nach einigem hin und her stand er dann dort und passte gerade noch so unter die Decke. Die Frau wurde weggejagt um Essen und Trinken für den MEISTER zu kaufen, aber ihr eingebläut ja Fleischkonserven zu Kaufen und das Brot vom Verkäufer einpacken zu lassen und nicht mit den Fingern anpacken. Na gut.

Ich fragte wo ich eine Leiter finden kann um auf den Speicher zu gelangen für die Montage der Antenne. Die gab es nicht. Dann schickte er die Kinder um vom „Domnu Nicu“ wer immer das auch war, eine Leiter zu leihen.

Ich musste feststellen dass auch kein Rohr da war um Die Antenne zu befestigen.

Er hätte keines bekommen, und schickte dann wieder die Kinder sie sollten im Nahen Weingarten einen Stecken „ besorgen“. Inzwischen kam die Frau vom Einkauf und kassierte prompt eine Abfuhr, was sie den denke ohne etwas sauerem zu kommen den der Meister könne nicht ohne „muraturi“ Fleisch essen. Sie wurde wieder weggeschickt um saure Gurken von der Doamna Ani zu besorgen.

Inzwischen kamen auch die Kinder wieder und brachten den „Antennenmast“. Ich begann mit der Montage, und als ich fertig war beauftragte ich ihn am Fernsehgerät zu bleiben und mir sagen wann der beste Empfang ist um die Antenne auszurichten. Nach einigem hin und her klappte es und er schrie: „MEIN FERNSEHER hat ein sehr gutes Bild“. Jetzt wurden die Nachbarn nicht mehr vom Fenster verscheucht, man genoss es förmlich die neidvollen Blicke der anderen zu sehen, wahrscheinlich bis späht abends. Höflichkeitshalber aß ich ein paar Bissen von der Konserve und machte mich dann auf den Heimweg.

Ziegeunerviertel.

Zigeunersiedlung in Mühlbach von einst

(Foto Kloos)

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Wanderzigeuner

Horst Theil


 

Was bedeutet der Begriff Zigeuner?

 Zigeuner ist der Sammelbegriff für alle Gruppen und Untergruppen dieser Volksgruppe, die als Basissprache Romanes benutzen. Romanes gliedert sich in ungefähr 60 Dialekte, die wiederum mit Fremdwörtern aus der Region in der die Gruppe oder Untergruppe lebt durchzogen ist. Bis vor kurzem besaß diese Sprache keine schriftliche Form. Heute sind große Bemühungen dieser Sprache eine schriftliche Form zu geben im Gange.

Diese Sprache besaß auch eine Schutzfunktion, und bei einigen Gruppen strengstens verboten die Sprache an nicht Zigeuner weiter zu geben, mit der Begründung das die anderen nicht den Innhalt der Gespräche verstehen können und sollen.

Es gibt zwei Bezeichnungen dieser  Bevölkerung: Die Roma und die Sinti.

Sinti sind hauptsächlich im Deutschsprachigen Raum.

Die Roma (Mehrzahl) Rom (Einzahl) das bedeutet soviel wie „ Mann“ oder „Mensch“ auf Romanes,  Romni oder Romnija.

In manchen Regionen nennen sich die Roma auch: Ashkali, Curari, Kalderasch, Lovara oder Manouches.

Woher kommen die Zigeuner? Mann weiß es nicht wirklich genau. Laut Sprachforschung sollen sie dem Indischen Zentralterritorium entstammen und nach längerem Aufenthalt im Nord-Westlichem Teil des Subkontinentes (wahrscheinlich heutiges Pakistan), über Kleinasien bis nach Süd-Ost Europa gekommen seien.

Die sozialen Strukturen beruhen auf Verwandtschaftlichen Beziehungen hauptsächlich in der Großfamilie, die überhaupt den gesamten Zusammenhalt der Volksgruppe ermöglichen.

Bei den Kalderasch heißt diese tsera, was Zelt bedeutet. Bei anderen Roma- Gruppen Satra (bei den Kalderasch). Mehrere Satra bilden einen Großverband (njamuri oder niamo). Mehrere Großverbände (beiden Kalderasch) bilden eine Vitsa. Die nächste Stufe ist die Natia oder Rasa.

Der Natia steht ein Ältester vor mit der Bezeichnung: Baro (Großer), Sero (Haupt oder Fürst). Dieser ist zu erkennen an der besonderen Bekleidung und an einem Bart.

In manchen Großverbänden hat auch eine besonders lebenserfahrene Frau, die Puri Daj (Großmutter) eine große bedeutende Rolle.

Die ökonomische Einheit ist die kumpania als offener, lockerer Zusammenschluss gemeinsam wirtschaftender Angehöriger mehrerer Familienverbände. Sie reagiert flexibel auf die jeweils gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, ihre Zusammensetzung ist also einer fortwährenden Veränderung unterworfen. Gleichzeitig verlangt sie uneingeschränkte Kooperation und die Einhaltung der gruppeninternen Regelungen, deren Missachtung vom traditionellen Gericht der Roma, der kris, geahndet werden kann. Jede kumpania beansprucht einen geografisch oder ökonomisch gegen andere kumpania abgegrenzten Raum.

In der kris, einem Schiedsgericht, klären Roma auch heute noch Streitigkeiten innerhalb einer Gruppe. Die „(Recht)Sprecher“ werden dafür von Fall zu Fall von den Kontrahenten einvernehmlich bestimmt. In der Regel sind das drei bis fünf Personen, die sich in der Vergangenheit durch kluge Urteile einen Namen gemacht haben. Auch Ehen werden durch eine kris bestätigt. Einberufen kann sie jeder, der einen Konflikt mit einem anderen auszutragen hat. Verstöße können im äußersten Fall mit dem sozialen Ausschluss sanktioniert werden.

Traditionelle Roma legen Wert auf zahlreiche interne Regeln des sozialen Lebens, der Hygiene wie der „Reinheit“ in einer übertragenen Bedeutung. Die Unterscheidung zwischen rein ([sch]uscho) und unrein (mahrime) ist von herausragender Bedeutung, von ebenso großer Bedeutung wie die (und eng verknüpft mit der) Unterscheidung zwischen Leben und Tod. Frauen unterliegen eigenen Reinheitsvorstellungen. Menstruation und Geburt gelten als unrein mit der Folge besonderer Umgangsweisen. Es handelt sich hier nicht um eine exotische Eigenart der Roma Kultur, denn in der christlichen Kultur, in islamischen und orthodox-jüdischen Kulturen finden sich ganz ähnliche Vorstellungen. Wer aus diesem oder anderen Gründen für unrein erklärt wird, darf mit seinen Leuten keine Tischgemeinschaft haben und weder essen noch trinken. Es existiert eine Fülle von Einzelregelungen zur Meidung „unreiner“ Bedeutungsträger. Sinti vertreten ein besonders ausführliches Meidungssystem und Regeln strikter Abgrenzung gegenüber der Mehrheitsbevölkerung. Dazu gehört das Verbot, Nicht-Roma (gadsche) über den Dialekt der Gruppe, die sintengheri tschib (auch einfach: mari tschib = unsere Sprache) zu informieren. Das kann bedeuten, dass man es vorzieht, als „Zigeuner“ statt als Sinto bezeichnet zu werden. Alle medizinischen und Pflegeberufe, die mit Krankheit und Tod in Berührung kommen, ferner alle Berufe, die mit Tierfleisch und -blut zu tun haben, gelten traditionellen Sinti als unrein.

Musik spielt im Alltag der Roma häufig eine große Rolle, musikalische Darbietungen nehmen bei Festen in der Regel eine zentrale Stellung ein. Sie ist also nicht eine Beschäftigung nur für einige Musikenthusiasten, sondern tief in der Kultur verwurzelt und Teil der Alltagskultur. Weil die Musik stets auch dem Broterwerb diente, nahm sie immer schon Elemente aus den umgebenden Mehrheitskulturen auf. Es entwickelten sich als regionale Varianten der Roma -Musik sehr unterschiedliche Stile und Instrumentierungen.


 

Dr. Heinrich von Wlislocki

Dr. Heinrich von Wlislocki
(*9.7.1856 – † 19.2.1907)

Dr. Heinrich von Wlislocki,
Ethnologe, Sprachforscher und Tsiganologe geb. zu Kronstadt in Siebenbürgen am 9. Juli 1856. Der Sohn eines kaiserlichen Finanzbeamten, erhielt er seine erste Ausbildung an dem Honterus – Gymnasium seiner Vaterstadt und bezog 1876 die Universität in Klausenburg, an welcher er vornehmlich humanistische Studien betrieb und unter diesen mit Vorliebe der Germanistik und Philosophie oblag. Da nötigte ihn der Tod seines Vaters, auf eigenen Erwerb bedacht zu sein, den er kümmerlich als Hauslehrer fand. Indessen trieb er seine Studien fort, bereitete sich für ein öffentliches Lehramt vor, erlangte 1879 die philosophische Doktorwürde, lebte die folgenden Jahre als Privatgelehrter an verschiedenen Orten Ungarns und Siebenbürgens, bis er 1884 eine Professur zu Rosenau in Ungarn erhielt. Wlislocki wählte einen Gegenstand zu seinen Forschungen, über den die Gelehrten verschiedener Völker noch lange nicht einig, und den erst in jüngster Zeit ein Spross unseres erlauchten Kaiserhauses zu seinen eindringenden Studien erkoren: die Zigeunersprache.
Im Druck sind von ihm, (in deutscher Sprache 80 Bücher), unter anderen zum Thema Zigeuner erschienen: „Heideblüten. Volkslieder der transsilvanischen Zigeuner“ (Leipzig 1880); – „Eine Hildebrandsballade der transsilvanischen Zigeuner“ (ebd. 1880); – „Die Sprache der transsilvanischen Zigeuner“ (ebd. 1883); – ferner in der ungarischen Zeitschrift „Egyetemes philologiai közlöny“ d. i. Allgemeine philologische Revue, redigirt von Dr. Thewrewk und Dr. G. Heinrich, 1883, Heft 1 die Abhandlung: „Magyarból átvétt czigány szavak“, d. i. Ungarische Lehnwörter im Zigeunerischen; und ebenda: „Abhandlung über Zigeunerromanzen“‘ – „Adalék a czigány nyelvészet történelméhez“, d. i. Beitrag zur Geschichte der Zigeunerphilologie (Klausenburg 1881) und in der von Paul Hunfalvi und Gust. Heinrich herausgegebenen „Ungarischen Revue“ 1884: „Zur Volkskunde der transsilvanischen Zigeuner“ [IV. Heft, S. 229 bis 258 und V. Heft, S. 343 bis 358], ein ungemein interessanter Essay; 1886: „Vier Märchen der transsilvanischen Zigeuner. Inedita. Originaltexte nebst Verteutschung und Glossar“ [Seite 219 bis 236]. Außerdem behandelt Wlislocki seinen Gegenstand in mehreren Feuilletons verschiedener Zeitschriften. Hunfalvi (Paul). Ungarische Revue. Mit Unterstützung der ungarischen Akademie der Wissenschaften (1881) S. 85.

Quelle Text: (Wikisource)
Quelle Bild: Manuscripts and more. Special Collections & Archives at the University of Liverpool Library


Dr. Heinrich von Wlislocki verstarb am 19 Februar 1907 in Klosdorf bei Kleinkopisch (Sânmiclăuș, Alba). Unter unbekannten Umständen wurde er auf dem Evangelischen Friedhof in Mühlbach (Sebes – Alba), in einem heute der Fam. Daniel gehöhrenden Grab beigesetzt. Sein Name ist auf dem Grabstein nicht vermerkt.

Horst Theil


Beitrag geschrieben und zusammengestellt von: Horst Theil

Quelle Text: Wikipedia.org ;Wikisource

Quelle Bild: Manuscripts and more. Special Collections & Archives at the University of Liverpool Library 

 

An meine Leser


Mit diesen Zeilen adressiere ich mich an meine Leser und besonders an die, die eine Bindung zu Mühlbach in Siebenbürgen haben oder Verspüren.

Warum ich diese Seite überhaupt gegründet habe steht ja auf der Startseite, aber ich möchte hiermit noch einige Gründe hinzufügen, die ich im Laufe der Zeit als Bestätigung empfand dass dieser Entschluss richtig war.

Ich versuche auf dieser Seite so viele Informationen über Mühlbach zu vereinen wie überhaupt möglich ist. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken die mir zur Seite gestanden haben und noch weiter stehen werden. Die Erfahrung zeigt dass das Internet eine gute Quelle ist an Informationen für Interessierte heranzukommen, aber man nicht auf die Erinnerungen von Zeitzeugen, mögen die niedergeschrieben oder erzählt sein, verzichten  kann. Meistens sind das Informationen die in keinem der Geschichtsbücher geschrieben stehen. So wie die meisten Mühlbacher wissen das eine Ortsmonographie der Stadt Mühlbach sich in der Entstehungsphase befindet, wo unter anderem viele Themen die ich auf dieser Seite behandelt habe auch zu finden sein werden, möchte ich hiermit trotz allem noch einmal ein Appell an alle willigen machen ihre Erinnerungen an Mühlbach nieder zu schreiben. Der Grund dafür ist das in dem Buch bei weitem nicht die ganzen Erfahrungen und Erinnerungen unserer wunderbaren Heimatstadt und ihrer Bewohner oder ehemaligen Bewohner erfasst werden können. Ich schätze dass diese Erinnerungen nicht verblassen sollten in Hinsicht dass die meisten ausgewanderten in einem komplett anderen Umfeld leben und besonders ihre Nachkommen.

Ich habe schon Äußerungen vernommen das ich mich in etwas verrannt habe und das nicht normal wäre aber ich glaube daran und schätze dass ich nichts verkehrt mache. Lieber etwas machen, oder zu versuchen etwas zu machen an stelle überhaupt nichts, und warten das andere das machen.

Ja, vielleicht habe ich kein Talent zu schreiben, möge mir dies verziehen sein, ich bin kein Gelehrter und kein Schriftsteller. Wen jemand gewillt ist zu den Kategorien dieser Seite einen Beitrag zu verfassen, hier meine E-Mail Adresse : horsttheil@online.de

Ich werde ihn dann gerne hier Veröffentlichen.

Bitte in Word – Datei, Schriftart Times New Roman, Schriftgröße 12.

Der Autor wird natürlich auch namentlich angegeben, wenn das nicht erwünscht ist bitte einen Vermerk dazu.

In diesem Sinne verbleibe ich und bedanke mich noch mal.

Horst Theil

Otto Folberts Tagebücher Band 44 April 1946 – Mai 1948 (letzte Folge)


Otto Folberts Tagebücher

 Band 44

 April 1946 – Mai 1948

Quelle: Siebenbürgen-Institut – Online

In`s Reine geschrieben von:

Gerhard Feder im Juni 2001

Im Auftrag von: Paul J. Folberth

Ostern 1948

besuchen uns  Otti und Paul – zum  zweiten Mal – obwohl sie beide in Prüfungsnöten  stecken. Wieder ergiebige, fruchtbare Gespräche – zumal auf den häufigen abendlichen Spaziergängen. Von  den Ausflügen der schönste:  der an den Hallstädter  See  am  2. Ostertag. Eisenbahnfahrt bis Steyr, von dort Marsch auf dem so genannten Soleweg mit stetem Blick auf den See nach Hallstatt. Mittagrast am Gosauzweany. Egon ist mit und holt von unten am Seerand Herrn Adleff (ehemaliger Schüler von mir)  und  Frau herauf,  der dort jetzt  Gemüse in großem Stil anbaut.  In Hallstatt das vorgeschichtliche Museum („Hallstätter Kultur“).

6.– 18. April 1948

Reise mit Otti und Klaus, später Paul Karlsruhe,  Frankfurt,  Darmstadt,  Karlsruhe,  Pforzheim,  Stuttgart,  Aalen,  Stuttgart,  Augsburg,  München, Starnberg, Staldach, Passau. (Siehe besonderes Reisetagebuch) Herrlich, einmal zu reisen, indem man von den Kindern geführt wird. Ein Traum wird Wirklichkeit. Ich begleite  meine  Söhne auf einer  ihrer  Fahrten zur  Hochschule.  Nach der  Pass – und Zollabfertigung in  Salzburg sitzen im bequemen Oriet-Express in der weich gepolsterten 2.  Klasse  die  zwei  schönen  Jungen  Otti  und  Klaus  mir  gegenüber.  Wir  haben  alle  drei  strahlende Gesichter. Wir freuen uns wie Schneekönige, daß alles so gut gegangen ist. Nach einer  wahren Sausefahrt durch  Süddeutschland erreicht Otti  um 10  Uhr nachts  als  erster  seinen Bestimmungsort  Stuttgart.  Ein bisschen  später treffen wir zwei  andern in Karlsruhe  ein.  Paul  erwartet uns am Bahnsteig und geleitet uns zu seiner bescheidenen Bude, wo wir absteigen und nächtigen. Gang durch die Ruinenstadt Karlsruhe. Wir sind erschüttert  mit Klaus. Der  ungeheuere Schuttberg im Stadtzentrum. Der „Schuttexpreß“. Jedes  zweite Haus ungefähr  ist  zerbombt    oder  ausgebrannt.   Das Schloß  zerstört,  ebenso  das  Festspielhaus,  die  Kunsthalle,  das  Theater,  die  Kirchen  und  unzählige

öffentliche Gebäude. Leider auch ein großer Teil der Technischen Hochschule. Einige notdürftig hergerichtete  Hörsäle.  Aber  die  meisten  Institute  ohne  Einrichtung.  Ich  kann  gar nicht  verstehen  wie  der Unterricht in ihnen stattfindet. Dr.Hann im chemischen  Laboratorium,  der zusammen  mit  Lederer Pursch und Paul ein  Landsmännisches Kleeblatt bildet. Leider steckt Paul gerade mitten in  Prüfungen.  Deshalb gehen wir abends bloß mit  Lederer  Pursch in die  „Gräfin  Maritza“  von  Kalman  und wohnen  einer  ausgezeichneten Aufführung  bei.  In  der  Pause  frische  ich  die  gemeinsamen  Kriegserinnerungen  mit  Lederer  Pursch  auf: Nogilew, Jassy, Krim, Kertsch, Sewastopol. In  aller  Herrgottsfrüh  Fahrt  mit  Klaus  nach  Frankfurt.  Die  Stadt  ist  zerstört  wie  Karlsruhe:  zu  65%.

Der Dom,  der Römer,  die  Oper, die Börse, Goethes  Geburtshaus und das  Goethemuseum  am  großen Hirschgaben  –  alles  liegt  in  Trümmern.  Die  Altstadt  scheint  besonders  schwer  getroffen  worden  zu sein. Der  Hirschgraben beispielsweise eine schmale  Hohlgasse, die durch Schuttberge führt. Der Aufbau  hat  nur  sehr  spärlich  eingesetzt  am  Goethehaus  und  an  der  Paulskirche.  Diese  ist  mit  hohen Stahlrohrgerüsten umkleidet. Allenthalben dröhnt Arbeitslärm rings um sie herum. Überhaupt ist Frankfurt trotz seinen Verwüstungn  eine verkehrsreiche Stadt geblieben: Hauptstadt der Bizone.  Sehr  viele, sehr elegante  amerikanische Autos,  zumal in der  Nähe  der Taunusanlagen,  wo in einem  ehemaligen  NS-Gauhaus  (oder  so  was)  der  Sitz  der  Bizonenregierung  zu  sein  scheint.  Zahlreiche Negerchauffeure in den amerikanischen Wagen. Klaus  staunt über  die Masse der  großen  Bankhäuser und Bankpalais,  die  es hier  einmal gegeben  hat. Jetzt  stehen  nunmehr  die  Reste  ihrer  prunkvollen  Fassaden.  Die  Bauten  selbst  sind  fast  alle  ausgebrannt. Das Herz krampft sich zusammen bei dem grausigen Anblick. Was Jahrhunderte an  Reichtum gehortet  und  zusammengetragen  haben, ist  in  wenigen  Tagen,  oft  Stunden  völlig  vernichtet  worden.

Man kann sich gar nicht vorstellen, daß diese Trümmer einmal alle verschwinden könnten. Sie wegzuschaffen  beansprucht  ja  beinahe  soviel  Arbeitskraft  als  notwendig  war,  aus  ihrem  Baumaterial  die Stadt zu errichten. Stundenlang  warten  wir vergebens  auf  Herrn  Johannes  Schulze,  an  den  wir  von  Herrn  Wiedermann empfohlen  worden  sind.  Unsere  gestrige  telefonische Ansage  hat nicht geklappt.  Er  ist gerade  heute als  Trauzeuge  beschäftigt.  Endlich  gegen  Mittag  ist  er  da.  Wir  essen  mit  ihm  zusammen  in  seinem Büro.  Hatte  schon  in  Leipzig  eine  der  größten  Pelzfirmen.  Noch  vor Übergabe  von  Sachsen  an  die Russen,  floh er nach  Hessen. Beurteilt die  heutige Lage für die neue Pelzindustrie sehr günstig:  große Handelsstadt,  Nähe  der chemischen  Industrien  Deutschlands  usw. Er ist Pelzändler  und  mitbeteiligt an Dietesheim,  wo  Dr.Mertens  eine  Rauchwarenzurichterei und F rber ei errichtet hat.  Dr.Mertens  ist der Mann, den wir suchen und brauchen. Das was K afka in  sterreich, ist Dr.Mertens in Deutschland: der führende Fachmann auf dem Gebiete der  Pelzveredlung.  Um  3  Uhr  nachmittags  sitzen  wir  Gott sei dank  auch  ihm  gegenüber  und   erfahren alles von ihm,  was wir  wissen möchten:  Dr.Mertens  stammt aus  St.Petersburg,  das gleiche  Schicksal wie wir, nur 27 Jahre vor uns (1920!).

1.

Die Pelzveredlung ist eine aussichtsreiche Sache, eigentlich überall in der Welt.

Besonders günstig Südamerika, da reiche Rohstoffe vorhanden und Pelz dort viel getragen wird.

2.

Zur  Errichtung  einer  eigenen  Veredlungsanlage  benötigt  man  verhältnismäßig  wenig  Kapital,

3.

schon 200.000 Friedensmark genügen, um einen stattlichen Betrieb einzurichten.

4.

Die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten:

a)

Pelzhandel und Veredlung (Schulze und Mertens)

b)

Pelzhandel, Veredlung, Konfektion (Faggersteiner)

Pelsveredlung und Erzeugung feines Leders für Handschuhe, Protesen (Ferentzi und Keßler)

c)

Besonders letztere Kombination h lt Dr.Mertens für sehr gut, da der Einkauf sich bedeutend günstiger

gestaltet.

5.

Die deutsche  Rauchwarenindustrie stand an erster Stelle und wird sich wahrscheinlich behaupten.

Frankreich dürfte etwas nachhinken, dafür ist Amerika (USA) ausgezeichnet geworden. Südameri-

ka kennt er nicht. „Pannonia“ erstklassig in der Lammfellveredlung.

6.

Klaus soll:

a)

zun chst bei Ferentzi und Keßler praktizieren.

b)

entweder nach Freiberg oder Darmstadt gehen.

c)

bei Dr.Markgraf IGFarben, Ludwigshafen, arbeiten.

d)

im  Hinblick  auf  Brasilien  als  Gerbereichemiker  nach  Frankreich  gehen,  da  in  Südamerika vermutlich stark nach französischen Methoden  gearbeitet wird.

Noch am Spätnachmittag fahren wir nach Darmstadt, um den dortigen Boden zu sondieren. Mein Gott, auch  diese  Großstadt  ein  einziger  Trümmerhaufen.  Aber  zum  Unterschied  von  Frankfurt  fast  ohne Leben. Grauenhaft  die  Leere, die Totenstille der  Ruinenviertel  im  Abendregen. Die  Verhältnisse  auf der  Technischen  Hochschule  sehr  schwierige.  Auch  die  Technische  Hochschule  größtenteils  Schutt und Trümmer. Professoren und Studenten hungern und quälen sich zu Tode. Es dürfte nichts für Klaus sein.  Spät  in  der Nacht  treffen  wir übermüdet  bei  Paul  in Karlsruhe  ein.  Aber mit  dem  Bewußtsein, Wesentlichstes für Klaus geklärt zu haben. Zu Mittag Abfahrt von Karlsruhe  nach Pforzheim zu  Haßmanns. Pforzheim – die am  fürchterlichsten zerstörte  Stadt  dieser Reise. Sie  war fast  unversehrt  geblieben  bis zum 23.  Februar 1945. Da  –  in  der Abenddämmerung  dieses Tages – erfüllte  sich ihr  Schicksal. Der Luftangriff dauerte  bloß eine halbe Stunde.  Hüllte  die  Stadt  in  ein  Flammenmeer.  Es  hatte  Phosphor  vom  Himmel  geregnet.  42.000 Menschen fanden  den  Flammentod.  15.000  liegen  noch  heute  unter den  Trümmern.  Ganze Familien völlig  ausgerottet.  Heimkehrer,  die  weder  Haus  noch  Verwandte  antreffen.  Als  erste  sollen  die Franzosen die Stadt besetzt haben.  Häuserblocks, in denen sie  ehemalige Bijouterie – oder Uhrfabriken vermuteten,  umstellten  sie  und  gruben  in  den  Trümmern,  bis  sie  auf  die  Stahlkammern  stießen.

Erbrachen sie und stahlen das Geschmeide. Herzliches  Wiedersehen  mit  Herrn  Haßmann.  Seine  liebe  Frau,  seine  freundliche  Schwägerin.  Die gute Jause  mit  Kaffee  und  Kuchen.  Rasch  ist die  Stunde  vorbei  und wir  eilen  wieder  zum  Bahnhof. Paul bleibt hier zurück. Klaus und ich fahren weiter nach Stuttgart. Der  erste  Eindruck:  dies  ist  eine  deutsche  Großstadt,  die  trotz  ihrer  Zerstörungen  noch  aufgebaut werden kann. Und  er  bestätigt  sich auch  im  weiteren  Verlauf  mehr  und mehr. Otti  treffen  wir in  der steilen Römerstraße, wenige Schritte vor seiner Wohnung. Eine ganze Weile schon geht er vor uns her und  wir  rätseln  mit  Klaus,  ob  der  schöne  stramme  Junge  nun  Otti  sei  oder  nicht.  Seine  freundliche Bude hoch über der Stadt. Gespräche und Essen und kurzer Besuch bei seinen Hausleuten. Dann sinke ich wieder  müde  ins  Bett, wo ich zusammen  mit Otti  warm  und  tief schlafe.  Klaus  kommt  bei  Erich Krestel unter. Wie schön es  ist, sich  von seinen Söhnen führen  zu lassen! Hier ist es  nun  Otti, der  mit  seinen guten Lokalkenntnissen uns  dient und  uns  eifrig  alles  bemerkenswerte zu  zeigen bemüht ist. Wir  sehen das zerstörte  Zentrum  der  Stadt:  die  Reste  des  Rathauses,  der  Stiftskirche,  des  alten  und  des  neuen Schlosses,  des  ehemaligen  D.A.I.  der  „Deutschen  im  Ausland“,  der  Landesbibliothek,  des  „kleinen Hauses“  usw.  Dann  wandern  wir  weiter,  vorbei  am  Bahnhof,  zum  Viertel  der  Technischen  Hochschule,  das auch  stark  gelitten hat,  zu Ottis Institut.  Anschließend  Straßenbahnfahrt durch  die  Innenstadt  (Königsstraße),  Degerloch,  Möhringen,  zurück zur  Zahnradbahn,  hinauf  zur  Wielandshöhe,  wo wir zusammen mit Erich Krestel zu Mittag essen. Stuttgart  kommt größer vor denn je. Und  wirkt wieder aufs beste sowohl auf mich wie auf Klaus. Ich bin glücklich, daß Otti hier ist.

Gegen  Abend Fahrt nach Aalen, wo uns Ferentzi  Paul am Bahnhof erwartet und uns  zu einem kleinen festlichen Abendessen (mit Eis als  Nachspeise) in seine Behausung führt. Schon diesen Abend treffen wir auch  Hans  an  und lernen die  Frauen  beider  (Reichdeutsche)  kennen. Sehr,  sehr  nette  Aufnahme. Das rechte Präludium zu Klausens Eintritt. Wir  schlafen  (Otti,  Klaus  und  ich)  im  „Bären“,  besichtigen  nachher  die  in  einer  Remontenkaserne untergebrachte kleine  Pelzveredlungsfabrik.  Ordnung und Sauberkeit  in den  Räumen. Gut, daß  heute Sonntag ist,  so haben beide Vettern reichlich Zeit für uns und bleiben  auch tatsächlich die ganze Zeit mit uns zusammen. Die Aussprache im Büro über Klausens bevorstehenden Start in Aalen  ist  beiderseits  sehr  ergiebig  und  vom  besten  Geist  erfüllt.  Die  Beiden  imponieren  mir  mehr  und  mehr.  Auch ihnen  gefällt,  daß  wir  vorher  in  Frankfurt  waren  und  überhaupt  so  gründliche  Vorarbeit  geleistet haben. Wir brauchen daher nicht um den Brei herum zu reden. In  allen wesentlichen Dingen stimmen wir mit einander überein.

Mittagessen beim Bankier Wiedemann, dem Schwiegervater von Hans Keßler. Hans selbst wohnt mit seiner jungen Frau  in einer kleinen aber geschmackvoll eingerichteten Mansarde des gleichen Hauses. Trotz guten  Willens etwas  steif.  Nach einer Handvoll  Schlaf,  Spaziergang  mit  Herrn  Wiedemann und den  zwei  Vettern bis vor die  Stadt. Anschließend Kaffe bei Hans und  Aussprache über die Geldangelegenheiten, die wir ebenfalls zur allseitigen Zufriedenheit regeln.

Abendgang  vor die Stadt nach der andern Seite. Jetzt erst gewinne ich einen entsprechenden Eindruck von der Größe der Stadt, den ausgedehnten  Industrieanlagen  in ihrer N he, der  sympathischen Hügellandschaft  usw.  usf.  Wir  haben  alle  den  Eindruck:  Klausens  Start  in  dem  neuen  Beruf  könnte  günstigere Begleitumstände kaum haben. Ich hoffe sehr, daß er sich mit den Vettern vor allem menschlich ausgezeichnet  vertragen  wird,  da  in  beiden  das  gute  Hienzenblut  wirklich  zu  sein  scheint.  Ich  bin äußerst  glücklich,  die  Feststellung  machen  zu  können.  Otti  ist  stolz  auf  diesen  Erfolg,  den  letzten Endes er angebahnt hat.  Und  Klaus freut sich, Hand ans Werk  legen  und seine Lebensarbeit beginnen zu können. Vor Glück und Freude wache ich nächsten Morgen bereits um 4 Uhr auf. Fahrt mit  Otti  zurück  nach  Stuttgart. Nachmittags Besuch  bei  Frau  Csaki und  ihrer Tochter  Brigitte. Abends  versuchen  wir  vergebens  Einlaßkarten  in  das  Operhaus  zu  bekommen.  Gehen  dann  in  die Kammerspiele, wo wir Strindbergs „Totentanz“ in einer sehr guten Aufführung sehen.

Stuttgart – Augsburg. Besuch bei Tante Johanna. Gespr ch mit ihr über Gertl und deren Zukunft. Gertl soll  bis  zum  Herbst in unserer Nähe bleiben und dann in die N he ihrer Mutter kommen.  Sie soll sich auf eigene Füße stellen. Ihre Mutter denkt an Mitbeteiligung und Mitarbeit an einer Pension. Die Industrie hier  ist  zu  50%, die  Wohnhäuser zu  70% zerstört.  Aber der  Aufbau allenthalben eingesetzt.  Die Zerstörungen die Ursache  dafür, daß  wenigstens ein Teil der  großzügigen Stadtbebauungspläne Adolf Hitlers ausgeführt werden.

München  dürfte  ungefähr  im  gleichen  Ausmaße  zerstört  sein.  Die  Frauenkirche  ist  ausgebrannt,  das Chor scheinbar durch Volltreffer zerstört. Doch die hohen Backsteinmauern und die Türme sind erhalten geblieben und schon ist das Hauptschiff von einem neuen roten Ziegeldach überdeckt. Einkäufe  in  der  Käufingerstraße.  Hurra,  das Rathaus  steht!  Auch  der  größte Teil  der  Feldherrnhalle. Zwischen beiden wohne ich der Umlegung einer Hausruine mittels Kranwagen und Drahtseil bei. Abends  treffe  ich  bei  Zillich  in  Starnberg  ein.  Ruhe  in  der  Nacht  wunderbar  in  seiner  Bibliothek. Träume davon,  daß ich  bei ihm  in meinem alten Almanach oder Jahrbuch meine sämtlichen Gedichte gedruckt vorfinde. Starnberg hat sich ungemein verändert, das  heißt vergrößert. Vor  27 Jahren, da wir uns mit Trudl  hier verlobten, hatte  es beinahe noch  dörflichen  Charakter.  Jetzt  merkt  man  ihm die Nähe einer Großstadt allzudeutlich an. Das Haus von Frl. von Enhuber finde ich überhaupt nicht mehr. Zillich  ist  am  Vormittag  zu  einer  Rudolf-Alexander-Schröder-Feier ins  Rathaus nach  München  geladen. Ich stehe spät auf und bummle ein wenig durch Starnberg. Nachmittag mit Frau Maria nach München.  Abends  in  der „Schaubude“.  Gastspiel  einer  Düsseldorfer  Kabarettruppe  „Das  Kommödchen“. Ausgezeichnet.  Besonders  die  vielen  Zeitbezogenheiten,  Ich  treffe  dort  Erwin  Tittes,  Christa  Keller, ihren Mann und ihren Bruder Harold. Vereinbare meinen Besuch bei ihnen in Staltach. Vor 14  Tagen  sind am Starnberger See  zwei  Enkelknaben  des Begründers  des  Deutschen  Museums, Oskar  von  Miller,  verunglückt.  Die  12-14  jährigen  hatten  ein  Segelboot  geschenkt  erhalten.  Bei  der ersten Ausfahrt kenterte es. Die Knaben ertranken. Ihre Leichen sind noch immer nicht geborgen. Spaziergang  mit  Zillich  durch  Starnberg.  Wohnung  Schlandt.  Fischzucht.  Auf  der  Waldbank  vor Zillichs Haus schließlich Gespräch über Thema Krauss. Seine großen Verbindungen zum Amerika der Zukunft.  Nachmittag  ist  Brigitte  Csaki  da.  Das  unerquickliche  Gespräch  über  Dr.Appel.  Endlich können wir unsern Faden wieder aufnehmen. Die Zukunft unseres Volksspitters. Das  Groteske  an  Zillich:  daß  ein  Schriftsteller  so  am Äußeren  Erfolg  hängt.  Jede  Aussage  von  ihm verrät  das.  Hauptsache  bei  ihm  ist  nicht  die  Wirkung,  sondern  der  Applaus.  Ein  weiteres  Zeichen dafür: er gibt an. Oft in einer kindischen Art. Sein „Charakterkopf“, im Theater mit Monokel in einem Auge.  Seine  romantischen  Mäntel.  Seine  Vorliebe  für  die  Uniform.  Hausrock -Fotografien.  Dauernd protzt er mit seinem  Erfolg bei Frauen. Überhaupt  spielt  das  Sexuelle in seinen Gesprächen  nach  wie

vor eine große Rolle, obwohl er sehr gealtert ist. Viel grauer als ich. Und noch weniger Haare. Ein ausgeglühtes  Herz.  Hat er  überhaupt je  Herz  gehabt?  Aber  Schwung  und viel  Zivilcourage hatte er. Und nahm vor allem jeden Erfolg als verdient ohne besondere Dankbarkeit für sich in Anspruch. Er zeigt  mir  die  vielen  Ausgaben  seiner  Bücher,  besonders  in  fremden  Sprachen,  seine  Ehrendiplome, sein Fotoalben. Die Dichtertreffen, Reisen usw. Er ist auffallend eitel. Leider.

Jetzt spürt  er,  da sein  Weizen  wieder  anfangen könnte  zu  blühen. Vor  kurzem soll  er  jahrelang unter schwersten Depressionen, ja Verzagtheiten gelitten haben. Damals hatte es seine Frau sehr schwer mit ihm. In diesen Jahren der Not, ohne Geld, ohne Ruhm, ohne Erfolg bedeutete er für sie nicht nur keine Stütze,  sondern  im  Gegenteil  eine  große  Belastung.  Er  flüchtete  in  die  Wälder,  sie  mußte  Brot  und Kartoffeln betteln für die Kinder. Jetzt beginnt er, wie gesagt, wieder  anzugeben. Ich  habe  den  Eindruck,  daß  er  unter  seinen  vielen  schriftstellender  oder  geistig  hoch  stehenden Bekannten  auch keinen einzigen Freund  besitzt.  Er  selbst  gibt  zu,  am  besten  noch  mit  Alverodes  zu stehen. Andere Schriftsteller am Starnberger See: Ina Seidel, Billinger, Dwiezer (Gut in Oberbayern). Das  Land  ohne  Zeitungen.  Ursache  der  Papiernot.  Daher  ein  Land  fast  ohne  Politik.  Keine  Sensationen mehr. Teilnahme  an  einer  Sitzung  der  Spruchkammer  in  Starnberg.  Die  drei  Richter  werden  mit  „Hohes Gericht“  angesprochen,  der  Staatsanwalt  heißt  „Ankläger“,  der  Angeklagte  „Betroffener“.  Dieser „Betroffene“ wird entlastet. Tutzinger Hof. Fahrt  nach  Staltach.  Harold  Steinburg  erwartet  mich  und führt  mich zu  Christa auf  Gut  Eurach. Ein sehr bescheidenes Bauernhaus. Die Osterseen. Stefans Pläne.

1. Mai 1948

Auflösung der  Familienwohn- und Verpflegsgemeinschaft  im  Kurhotel in Gmunden.  Wir übersiedeln mit Trudl, Hans und Dorothee nach Altmünster 48, in die Villa der Gräfin Tscheafgotsche.

Am 5. Mai 1948

feiern  wir dort  glücklich  wieder  unter  uns  zu  sein  und  so  etwas  wie  eine  Privatwohnung –  nach  der dreivierteljährigen Hotelperiode!  –  zu besitzen,  unsere  Silberne Hochzeit. Trotz  unseres  Flüchtlings Daseins  erfüllt  uns  an  diesem  Tage  doch  ein  Gefühl  innigster  Dankbarkeit  dem  Allmächtigsten gegenüber, der  unsere Ehe bis jetzt so sichtbarlich gesegnet hat. Denn wir erfreuen uns  beide,  sowohl Trudl als  ich,  ungebrochener Gesundheit  und  haben  nicht  nur selbst die schlimmsten Stürme der Zeit heil an Körper  und Seele  überstanden,  sondern auch unsere fünf  Kinder  sind uns alle erhalten geblieben,  obwohl die zwei Großen, vom Strudel  des  unglücklichen  Kriegsausganges  erfaßt,  unsern elterlichen Augen bereits entschwunden waren. Es ist wahr, wir haben die Heimat verloren – aber nur  äußerlich. In Wirklichkeit tragen wir sie tiefer in uns als dies der Fall w re, wenn wir noch immer durch die kommunistischen Fesseln an sie geschmiedet wären. Das ist vermutlich auch die Ursache dafür, daß wir kaum unter Heimweh leiden. Zumal  ich bin  bis jetzt  fast  völlig  frei  davon  geblieben.  Auch  dafür  Dank  de m  Herrn   der  Welt  und  unseres Schicksals!

Brief Trudls [ohne Datum, aber wahrscheinlich im Juni 1946 geschrieben]

Mein lieber Otto! Ich  habe mich  in  den  letzten Tagen viel mit Deinem 50. Geburtstag  beschäftigt und auch  darüber  nachgedacht,  wie es  wäre  wen ich  Dir einmal eine kleine  Geburtstagsrede  halten  sollte. Ich  nehme  nämlich  an,  an  meinem  50.  Geburtstag  wirst  Du  sicher  einige  Worte  an  mich  richten. Kannst  Du  Dich  noch  erinnern  als  Du  anfingst  dem  Karres  Trudchen  französische  Privatstunden  zu geben?  Welch  kleines schüchternes  Mädchen war ich damals und doch haben wir beide  bald  gefühlt dies ist der richtige Lebenspartner mit dem willst du durchs Leben gehen und mit keinem andern. Und wenn man  mich heute  nach 24-jähriger Ehe  fragen  würde,  wen willst du, ich  würde doch wieder  nur Dich  wählen.  Obwohl  es  bei  uns  nicht  immer  nur  Sonnenschein  gibt,  es  gibt  auch  ab  und  zu  ein kleines Gewitter,  und  das  Donnern  besorge dann gewöhnlich  ich, aber  ich  tröste  mich  damit, daß  der Mensch  ewig  blauen  Himmel  nicht  dauernd  aushält  und  er  auch  nicht  immer  Limonade  trinken möchte. Bald bevölkerte unsern jungen Hausstand eine frohe Kinderschar. Zuerst kam Otto und fast zu schnell unser Paulchen, dann Klaus und  Hans und wie Du sagst zum Schluß als Punkt auf das „i“ die kleine  Dorothee.  Was  für  ein  guter  besorgter  Vater  bist  Du  geworden,  die  4  Buben  nützen  es  auch weidlich aus, und kommen  mit allen Nöten zu Dir gelaufen. Und die beiden Großen, die nicht mehr in Dein Zimmer stürmen können, schreiben ihrem Vater die schönsten Briefe. Fast packt mich manchmal etwas  wie  Eifersucht,  doch auch ich bin ja noch zu manchem etwas nütze, wenn Badehosen zerreisen, oder  einer  eine  eitrige  Zeh  hat,  dann  wird  die  Mutter  Sturm  herbei  geschrieen.  Ich  komme  auch gewöhnlich  gleich.  Nur  etwas  kann  ich  nicht  vertragen,  wenn  man  mich  in  meinem  Mittagsschlaf weckt,  dann werde ich ungemütlich. Doch was  sehe ich, dies wird ja keine  Rede zum 50. Geburtstag, also los streng deinen Gehirnkasten  an, was  pflegt  man zu  Geburtstagsfeiern dem Geburtstagskind zu sagen. Zuerst wünscht man ihm viel Glück. Das tue ich auch pflugs, denn immer schon hat man Glück brauchen  können  aber  heutzutage  ganz  besonders.  Zunächst  wünsche  ich  unserm  Geburtstagskind Gesundheit und ein langes Leben und möge es uns  vergönnt sein dies  hier in unserm schönen Siebenbürgen  in  unserm  lieben  Heim  und  im  Kreise  unserer  Lieben  zu  verbringen.  Möge  ein  gütiges Geschick  und  davor  bewahren  heimatlose  Flüchtlinge  zu  werden.  Möge  der  Herrgott  uns  die  Freude schenken  für  unsere  Kinder  hier  stets  eine  Heimstatt  zu  erhalten  wohin  sie  aus des  Lebens  Stürmen stets wie  in  einen  ruhigen  Hafen  zurückkehren  können. Du hast vor  einigen Tagen gesagt  alles kann man  uns  Deutschen  nehmen,  aber  die  Freude  an  einem  schönen  Familienleben  nicht.  Erheben  wir unser Glas und trinken wir auf unser liebes Geburtstagskind und auf unsere beiden lieben Jungen Otto und  Pauli  die  an  diesem  Abend  sicher  mit  ihren  Gedanken  hier  bei  uns  weilen.  Gebe  Gott,  daß  sie auch bald gesund in unserer Mitte weilen können.

Ins Reine geschrieben

von Gerhard Feder

im Juni des Jahres 2001

im Auftrag von

Paul J. Folberth

 – ENDE –

Ein Tag beim Angeln an Zeckesch und Mühlbach


Es war schon einige Zeit her dass ich nicht mehr meinem Hobby das Angeln nachgegangen war. Aus diesem Grund beschloss ich am nächsten Tag, einem Sonntag, mal wieder in die Natur zu gehen um zu entspannen. Ja denn um diese Zeit hatte die Arbeitswoche sechs Tage, und ich war gerade mal im Zweiten Lehrjahr zum Beruf des Elektrikers bei der hiesigen Handwerkergenossenschaft.

Dafür waren einige Vorbereitungen zu treffen. Dazu gehörte das Fahrrad der Marke „ Carpati“ zu überprüfen, Angelköder zu besorgen und eine kleine Brotzeit für den nächsten Morgen einzupacken. Am nächsten Morgen um 4 Uhr hieß es dann Aufstehen. Nach dem Frühstück, das in aller Ruhe von statten ging da alle anderen noch schliefen, schlich ich mich leise aus dem Haus.

Nach dem ich mein Fahrrad aus dem Schopfen (Schuppen) geholt und bepackt hatte ging es los. Mein Weg führte die Altgasse entlang in Richtung Schottergrube. Es war kein Mensch auf der Strasse zu sehen. Einzig und allein ein paar Vögel die auf den Telefon Leitungen, oder den Bäumen die noch um diese Zeit noch beide Seiten der Gasse säumten, saßen. Ab und zu bellte ein Wachhund der mit seinem feinen Gespür merkte dass sich auf der Gasse etwas bewegte.  Die Luft war frisch und eine kleine Brise wehte in die Stadt aus westlicher Richtung. Es war Sommer, aber an diesem heran brechenden Tag, so früh am Morgen hatte ich mir ein bisschen Sonne gewünscht. Mittler weile war ich bei den letzten Häusern der Stadt angelangt.

Das letzte Haus auf der linken Strassen Seite gehörte einem gewissen Dolfi, nach dem die Rumänen auch die Schottergrube benannten (Balta lui Dolfi), die sich in unmittelbarer Nähe auf der rechten Seite des Weges Befand. Gleich dahinter verlief der Bahndamm der Strecke Mühlbach Alwincz. Ab da ging die Gasse in einen Feldweg über der in Richtung roter Berg und Kutina verlief. Die Überquerung der Gleise war um die Zeit nur mit einem Andreaskreuz gesichert. Mann musste aufpassen dass kein Zug kam, da das Bahngleis an dieser Stelle einen großen Bogen beschrieb und die Weitsicht nicht besonders gut war.

Die Schottergrube war ein Teich der entstand durch das ausheben von Erde und Schotter bei dem Bau des Bahndammes, jetzt aber eine beträchtliche Wasseroberfläche mit viel Schilf und Röhricht besaß und ein Biotop für verschiedene Wasserpflanzen und Tiere war. Mann konnte da Frösche, Kraniche Wildenten und Gänse antreffen so wie Fische Blutegel und verschiedene Wasserbewohner. Also Ließ ich die Schottergrube hinter mir und überquerte das Gleiß. Links und rechts Felder mit verschiedenen Anpflanzungen von Weizen über Mais biss Futter Pflanzen.

Nach etwa einer viertel Stunde ereichte ich den Weg der von Kaserne in Richtung Kutina verlief und bog auf diesen ein um nach etwa 100 M wieder in Richtung Zeckesch abzubiegen. Mittlerweile hatte sich der leichte Wind gelegt und am Horizont ging die Sonne auf und meine Laune verbesserte sich deutlich. Kurz vor der Zeckeschbrücke hielt ich an und stieg von dem Fahrrad, und ging den Rest des Weges zu Fuß weiter. Meine Absicht war den Zeckesch entlang in Richtung Kutina zu Angeln und nachher am Bach wieder in Richtung Stadt. Also bog ich am Ufer nach links um mir eine geeignete Stelle auszusuchen.

Ein Blick auf das Wasser und ein komischer Geruch in der Luft genügten um zur Erkenntnis zu kommen das etwas nicht stimmte, das etwas anderes war als sonnst. Das Zeckesch Wasser war zwar klar, aber hatte eine leicht bräunliche Farbe. Aber gut, nach einigem hin und her fand ich eine, wie mir schien geeignete Stelle um zu Angeln. Der Platz war gut, in einer Biegung, hinter einem Baumstamm der halb im Wasser lag und das Wasser ungefähr einen Meter tief war. Ich packte meine Ausrüstung aus und begann zu Angeln. Mittler Weile stieg die Sonne am Himmel mehr und mehr, und der komische Geruch wurde immer stärker. Am Anfang konnte ich keine Erklärung finden woher das kam, bis ich irgendwann zum Wasser ging um mir die Hände vom aufziehen des Köders zu waschen, da stellte ich fest das der Geruch vom Wasser aufstieg. Da dämmerte es mir das einige Leute gesagt hatten das die Neugebaute Kälber-Aufzuchts-Station (BIBIF) von der Daia-er Strasse ihre Abwässer sprich Fäkalien in den Zeckesch leiten. Jetzt wurde mir klar warum ich auch nach zwei Stunden angeln keinen einzigen Biss hatte.

Also doch, das Gerede der Leute schien bestätigt zu sein. Wie sich später herausstellte war diese Tatsache der Beginn einer lang anhaltenden Umwelt Tragödie die sich an diesem Gewässer abspielte. Abgesehen von der Tatsache dass die Behälter nach dem Spritzen der Kartoffelfelder, zur Bekämpfung des Coloradokäfers, auch fast immer im Zeckesch ausgewaschen wurden und immer in fast regelmäßigen Abständen die Gewässer vergiftet wurden.

Unter diesen Umständen war für mich der Tag gelaufen. Ich überlegte und kam zum Entschluss mein Glück am Mühlbach zu versuchen. Also packte ich zusammen und stieg auf das Fahrrad um in Richtung Bach zu fahren. Nach ein paar hundert Meter erreichte ich den Feldweg der vom Zeckesch zum Langendörfer altem Steg führet und mich auf direktem Weg zum Mühlbach führte. Am Mühlbach angekommen erlebte ich die nächste Überraschung. Dieser führte Hochwasser, wahrscheinlich hatte es in der Nacht im Gebirge heftig geregnet. Das Wasser des Mühlbachs war eine einzige Schlammbrühe, also mit Angeln auch nichts.

Mann muss dazu sagen dass der Mühlbach auch manchmal durch die Abwässer der Petersdörfer Papierfabrik, der Mühlbacher Strumpffabrik und der Lederfabrik so wie dem Städtischen Schlachthof  in Mitleidenschaft gezogen wurde. In diesen Fällen Leuchtete das Wasser in allen möglichen Farben. Das waren die Folgen der Umweltpolitik die das kommunistische totalitäre System in diesen Jahren betrieb, nämlich es wurde absolut nichts unternommen zum Schutz der Umwelt. Da dieser Tag für mich ein totaler Fehlschlag war blieb mir nichts anderes übrig als meine Sachen zu packen und nach hause zu fahren. So endete ein für mich hoffnungsvoller Tag, mit einer sehr großen Enttäuschung und Groll den ich mit heim nehmen musste.

Beitrag geschrieben von: Horst Theil

Otto Folberts Tagebücher Band 44 April 1946 – Mai 1948 (Folge 5)


Otto Folberts Tagebücher

 Band 44

 April 1946 – Mai 1948

Quelle: Siebenbürgen-Institut – Online

In`s Reine geschrieben von:

Gerhard Feder im Juni 2001

Im Auftrag von: Paul J. Folberth

Unsere Marschstrapazen steigerten  sich in der Folge durch die jetzt eintretende große Kälte und durch die grausigen  Schneestürme  fast bis  zur Unerträglichkeit. Kon  hatte  sie  niemals ausgehalten. Endlich am  30.  Dezember  1942  trafen  wir  in  Kamischin  ein,  wo  wir  nächsten  Tag  in  einen  Eisenbahnzug verladen wurden. Damit  begann  eine  neue  Art  von Qualen  für uns.  Da  unsere  Begleitmannschaft den  größten Teil  der uns zugedachten Verpflegung gleich zu Beginn der Bahnfahrt verkauft hatte und es sich mit dem Erlös in ihrem Waggon bei Schnaps und Weibern gut gehen ließ, hungerten und froren sich viele von uns zu  Tode  während der  19-tägigen  Reise.  Uns mangelte es  an Wasser,  an Holz,  überhaupt.  Die  grimmige Kälte  hielt  an.  Ich  hatte  meinen  Platz  auf  der  zweiten  Pritschenetage  in  unmittelbarer  N he  eines Fensterchens.  Der  Platz  hatte  den  Vorteil,  daß  ich,  meinen  brennenden  Durst  zu  löschen,  das  Eis lecken  konnte,  das  sich  infolge  der  Ausdünstungen  der  zusammen  gepferchten  Körper  im  Wagen-innern  an  die  eisernen  Gitterstangen  des  Fensterchens  niederschlug.  Ich  bin  alles  weniger  als  ein sentimentaler Mensch und habe bis dahin  kaum je in meinem  Leben geweint. Damals aber weinte ich jede  Nacht  auf  meiner  Pritsche  vor  Kälte,  vor  Hunger,  vor  Schmerz.  Auf  dieser  Reise  starben  von meinen  Offizierskameraden  36,  weitere  12  starben  unmittelbar  darauf  im  Lager,  also  insgesamt  48 innerhalb einer kurzen Zeit von 161. Ich selbst kam im Lager mit einem Körpergewicht von 49 kg an. Dass  es  mir  dann  bald  darauf  besser  ging,  verdanke  ich  einem  Missverständnis.  Eines  Tages  nämlich suchte  man  unter uns  einen gewissen Major Paulian,  um  ihn als Hilfsarbeiter in die Küche zu stecken. Da er kurz zuvor gestorben war,  konnte ich  mich  mit meinem  ähnlich klingenden  Namen, als solchen ausgeben  und kam  auf  diese  Weise auf  einen Posten, der  mir  eine  bessere  Verpflegung ermöglichte. Als Sohn  eines  Restaurant Besitzers  verstand ich über  dies  etwas  vom  Kochen,  so daß  ich  auf  Grund dieser Kenntnisse  allmählich  sogar zum  Küchenchef aufstieg.  Auch  der  Umstand,  daß ich fünf Sprachen  beherrsche,    mag  seinen  Teil dazu  beigetragen  haben. Kurzum,  es  ist  mir  dann  später  recht  gut gegangen,  umso mehr,  als  sich  ab  6.  Mai  1943  mit  einem  Schlage  die  Ernährungslage  im Lager besserte.  Es  gab  plötzlich  Weißbrot,  Butter,  Milch  usw.  und  wir haben  in  der  Folge  nicht  mehr  darben müssen.“

21. Januar 1947

Mela  war auch in Hermannstadt, um  mit  Herrn  Paulini  zu sprechen.  Das ist ihr  nicht gelungen,  da  er bereits  nach  Bukarest  verreist  war.  Dafür  hat  sie  auf  der  Heimfahrt  im  Autobus  zufällig  einen rumänischen Herrn kennen gelernt, der sich im Gespräch ebenfalls als Kriegskamerad Kons entpuppte und der ihr gegenüber behauptet hat, er sei Zeuge der letzten Stunden Kons in dem einsamen Steppen gewesen. Es sei richtig, daß Kon den russischen Posten tätlich angegangen habe, aber falsch, daß er  durch Kolbenschläge  niedergemacht worden  sei. Vielmehr   habe der  Russe  Kon durch  eine  Kugel

niedergestreckt.  Leider  hat  Mela  den  Namen  dieses  Herr  nicht  feststellen  können,  so  daß  wir  wahrscheinlich nicht mehr ins Gespräch mit ihm kommen werden.

Kons Tod ist uns also nun durch drei verschiedene Schilderungen überliefert: Die Schilderung Manzarars  –  erfroren,  die  Schilderung  Paulinis  –  erschlagen,  die  Schilderung  dieses  Dritten  –  erschossen. Die  Verschiedenheit  der  Darstellung  findet  meiner  Meinung  nach  vor  allem  im  damaligen  Geisteszustand  der Gefangenen,  deren  Bewusstsein  infolge der großen Erschöpfung ganz  sicher  getrübt  war. Es kommt  dazu  die Ungenauigkeit der Berichterstattung über so weite Zeiträume hinweg. Schließlich sind seit Kons Tod mehr als vier Jahre vergangen. Wie  dem aber  auch  immer  sei  und wie  immer  die letzten Augenblicke Kons zu Ende  gegangen sein mögen  – eines steht  seit Paulinis  Heimkehr unumstößlich fest:  daß wir ihn  nicht mehr sehen  werden. Mutter  hatte  in  ihrer großen  Liebe  zu Kon  ihre letzte  Hoffnung  – trotz  Manzarar  – noch  nicht  aufgegeben.  Sie  übertrug  Ihre  Hoffnung  in den  letzten  Monaten  mehr  und  mehr  auch  auf  mich.  Dem  hat Paulini ein Ende gesetzt und wir müssen uns – so bitter es uns fällt – darin schicken, daß er nicht einer der  Begabtesten,  nicht einer der  Tatkräftigsten, aber  wohl einer der  treuesten  und  anständigsten Menschen,  nicht  mehr  zu  uns  zurückkehren  wird,  einer  der  ein  edles  Herz  und  ein  tiefes  Gemüt  in  sich  trug, der beste Kamerad seiner Freunde – mein Bruder Kon.

1. Februar 1947

Nach  den Erfahrungen  des  letzten  Menschenalters mit den  zwei letzten  Weltkriegen  scheint der  Sinn der  Weltgeschichte  kein  anderer  zu  sein,  als  hoch entwickelte  Kulturvölker  durch  furchtbare  Kriegs und  Notzeiten  immer  wieder  auf  das  Niveau  roher,  ungebildeter,  primitiver  Völker  herunter  zu drücken. Die Natur scheint die Primitivität zu wollen und zu bejahen, nicht den Aufstieg der Menschheit.  Der  Weg  der  Geschichte  bestünde  diesem  nach  in  einem  ewigen  Auf  und  Ab,  hervorgerufen durch  die  Kraftanstrengung  der  Völker,  sich  über  die  Naturgegebene  und  gewollte  Primitivität  zu erheben  einerseits,  und  durch  das  schicksalhafte  Zurückgestoßenwerden  in  den  rohen  Urzustand andererseits.  Je  höher  ein  Volk  steigt,  um  so  tiefer  muss  es  fallen.  Völker,  die  dauernd  auf  einer niedrigen  Stufe  der  Kultur  dahinleben,  sind  daher  auch  am  wenigsten  solchen  Erschütterungen

ausgesetzt. Im  Zusammenhang hiermit  scheint  auch  zu  stehen,  daß die Natur  die  Herrschaft der  Dummen  durch aus begünstigt. Auch dadurch nämlich  versucht sie  ihr Ziel zu erreichen,  daß  die Bäume  der Menschheit nicht  in den  Himmel wachsen. Wenn  ich bedenke,  was  für  Hornochsen  haben doch  im national-sozialistischen  Regime führende Stellen innegehabt! Und  wie sehr herrscht heute über große Teile der Welt das unter Menschentum!

1 Februar 1947,

am 44.Geburtstage Trudels Gustav Frenssen in  seinen  Grübeleien: ,,Die  keuschesten  und  scheuesten  Mädchen  sind zugleich  die feurigsten, und  also  in jeder  Beziehung,  in  Arbeit  und  Liebe  (zu  Mann  und Kindern)  die  besten,  die wertvollsten  Menschen.  Ihre  Keuschheit  und Scheuheit ist nichts  weiter als  der Schutz, den die Natur und sie selbst sich unbewusst geben, damit ihr heißes Blut sich nicht so leicht hingibt, wie es gewillt ist und möchte,  und  so  zu Schaden kommt.  Die  Lauten und  Sicheren, die man  zuweilen  trifft, die  offenherzig und ohne Scheu  von Liebe und Feuer  reden  und es nicht  fürchten, besitzen  es auch  nicht, und sind als Menschen, Frauen und Mütter weniger wert.

Am 10. Februar 1947

werden  endlich  die  Friedensverträge  mit  den  ehemaligen  ,,Satellitenstaaten“  Deutschlands  –  Italien, Ungarn, Rumänien,  Bugarien und Finnland  – in Paris unterzeichnet. Sie  sind das Ergebnis  unzähliger Kompromisslösungen zwischen den anglo-amerikanischen Staaten (England und U.S.A.) auf der einen, und Sowjetrussland auf  der andern Seite.  Die  Welt war  Monate lang Zeuge eines schweren politischen Ringens  zwischen  Ost  und  West  und  mehr  als  einmal  drohten  die  Verhandlungen  zu  scheitern.  Die Regierungen  der  Satellitenstaaten  hatten  wohl  auch  einmal  Gelegenheit,  zu  den  Friedensentwürfen Stellung zu nehmen, im Grunde genommen stellen die Verträge aber Diktate dar. Der Vertrag mit Rumänien enthält harte Demütigungen für das Land. Ein rumänisches Heer gibt es so gut  wie  nicht  mehr.  Die  Wiedergutmachungssumme,  die  das  Land  an  Russland  zu  zahlen  hat  (in Waren),  beläuft  sich  auf  300  Millionen  Dollar.  Die  Tilgungsfrist  beträgt  8  Jahre.  Wirtschaftler erklären, dass eine völlige  Verarmung Rumäniens die sichere Folge sein werde. Rumänien erhält wohl Nordsiebenbürgen  zurück,  verliert  aber  dafür  Bessarabien  und  die  Bukowina.  90  Tage  nach  Ratifizierung des Vertrages soll das Gros der  russischen Besatzung abgezogen  sein. Es  bleiben zurück bloß die  Truppen, die notwendig  sind, um  die  Verbindungslinien mit den russischen Besatzungstruppen  in Österreich aufrecht zu erhalten. Aber  die  allen Minderheiten  zustehenden Rechte  enthält  der  Vertrag  einen  wunderbaren  Artikel.  Da wir Volksdeutsche darin nicht besonders erwähnt sind, müsste er auch für uns gelten. Wir fürchten aber sehr, dass zwischen  Theorie und Praxis eine sehr  große Kluft  bestehen  bleiben  wird und haben  wenig Vertrauen zu den schönen Worten.

12. Februar 1947

Eine  gewisse  Verbesserung  unserer  Lage  ist  seit  einiger  auf  dem  Gebiet  der  Kirche  und  Schule  zu verzeichnen. Der Zustand von 1940 ist hier wieder hergestellt worden d.h. unsere Kirche ist als Schule erhaltende  Behörde  und  unsere  Schule  als  konfessionelle  Schule  wieder  anerkannt  worden.  Unsere

Schulen haben ihr Öffenlichkeitsrecht wieder zurück erlangt. Die Schuljahre 1944/45 und 1945/46 mit ihren Prüfungen sind anerkannt worden. Auch  ist  ein  Ministerialerlass  erschienen,  nach  dem  Schulgebäude  in  der  Zukunft  nur  noch  Schul- zwecken dienen  dürfen.  In  vielen sächsischen  Schulgebäuden  sitzen  freilich  fremde  Schulen  drinnen und werden sie nicht so schnell räumen. Als  Erleichterung  unserer Lage  ist auch  anzuführen,  daß  die  Evakuierungen auf  unsern  Dörfern  d.h. der  Häusertausch  zwischen  Sachsen  und  Zigeunern  bzw.  Sachsen  und  Rumänen  eingestellt  worden sind.  Evakuierungen,  die  nach  dem  1.Januar  1947  durchgeführt  worden  sind  (z.B.  in  Scharosch  bei Elisabethstadt), sollen rückgängig gemacht werden. Nichtsdestotrotz  macht  das  Absinken  der  Staatswirtschaft  im  allgemeinen  und die  sächsische  Volkswirtschaft  im  besonderen  rapide  Fortschritte.  Die  Lawine  der  Inflation  rollt  unaufhaltsam  über  uns hinweg.  Die  Fixangestellten  nagen  bereits  am  Hungertuch.  Mein Professorengehalt  beispielsweise macht  jetzt nur  noch  einen  kleinen  Bruchteil  dessen  aus, was wir  zu  unserem  Lebensunterhalt  brauchen.

Am 7. Februar 1947

jährte  sich  der  Tag,  da  wir  nach  dem  unglücklichen  Ausgang  des  Krieges  die  erste  Nachricht  von unserem  Otti  in  Form  einer  Karte  erhielten.  Von  Paul  hatten  wir  auf  Umwegen  über  andere  bereits erfahren,  daß  er wahrscheinlich  noch  am  Leben  sei.  Von ihm  traf die  erste  schriftliche  Nachricht im April  ein.  Seither  stehen  wir  in  regem  Briefwechsel  mit den  Jungen.  Ich  allein  habe  ihnen  während dieser Zeit 52 an beide gemeinsam gerichtete nummerierte Briefe geschrieben, dazu noch einige jedem besonders. Auch Trudl schreibt ihnen fast jede Woche. Von den Zweien ist Paul der fleißigere d.h. der ausführlichere  Briefschreiber.  Er  unterrichtet  uns über alle Vorkommnisse seines Lebens. Sein letzter Brief  trägt  die  Nummer 49.  Aber auch  von  Otti  haben  wir  fast  so  viele,  wenn auch  kürzer  gehaltene Schreiben  erhalten.  Die  Laufzeit der  Briefe  beträgt  2-4 Wochen.  Es gingen so  gut wie  keine bis jetzt verloren.

Am 15. Februar 1947

d.h.  nach  Abschluss  des  ersten  Semesters  dieses  Schuljahres  46/47  lassen  wir  Hans  aus  Blaj  wieder nach  Hause  kommen,  obwohl  es  ihm  dort  in  jeder  Beziehung  –  mit  Ausnahme  des  gelegentlichen Heimwehes – sehr gut  gegangen ist. Aber es  können  im  Laufe  dieses Frühjahres Umstände eintreten, die seine Anwesenheit hier angezeigt erscheinen lassen.

20. Februar 1947

Der  Winter will  nicht  weichen. Immer noch bedeckt Schnee  die  Erde,  wenn auch  alter,  schmutziger, nasser Schnee.  In Mitteleuropa  ist  es  merkwürdigerweise  viel  kälter als  hier. Deutschland,  das hungernde, frierende Deutschland wird jetzt schon von einer 4. Kältewelle heimgesucht. Die Temperaturen fallen in der Nacht bis auf 15 und 18 Grad minus und steigen bei Tage bloß auf –3  oder –5. Die Kälte fordert  unzählige Opfer. Selbst England ist von Schnee und Eis bedeckt. Infolge großer Kohlenknappheit  sind  auch dort viele Industriebetriebe stillgelegt worden.  Stromabschaltungen  sind  an  der  Tagesordnung. Die Straßen bleiben in der Nacht verdunkelt wie im Krieg.

10. März 1947

Beginn der Konferenz der vier Außenminister von Nordamerika,  England, Frankreich und Russland in Moskau,  auf  der  ein  Staatsvertrag  für  sterreich  und  Vorarbeiten  für  einen  Friedensvertrag  mit Deutschland  zur  Verhandlung  gelangen.  Marshall,  Bevin,  Bidault  und  Molotow  sitzen  am  Verhandlungstisch und die ganze Welt horcht gespannt auf  ihre Gespräche, denn es geht offenbar mehr als um die Zukunft Deutschlands  und  Österreichs, es geht um die Frage  ob wir einen Dritten Weltkrieg erleben sollen oder nicht.

11. März 1947.

Binder Willy wird verhaftet und nach Bukarest geschafft.

12. März 1947

Präsident  Truman h lt  vor  dem  amerikanischen  Kongress  eine  Rede,  in  der  er  Griechenland  und  der Türkei wirksame Hilfe zusagt.

Ende März 1947

Die nach dem  langen, kalten, sowie Niederschlag  reichen  Winter  eingetretene Schneeschmelze hat  in Nordwest-  und  Nordosteuropa  große  Überschwemmungen  hervorgerufen,  besonders  in  England  und in  Norddeutschland.  Hier  mussten  zahlreiche  Landstriche  von  der  Bevölkerung  geräumt  werden,  so z.B. im Oderbruch. In Deutschland reiht sich eine Katastrophe an die andere: Der militärische Zusammenbruch, die Besatzung,  die Zerstückelung  des  Landes  in  vier  Zonen,  der  Hunger,  der  ganz  ungewohnt  strenge  Winter, jetzt  die  Überschwemmungen.  Kein  Wunder,  daß  nun,  zumal  im  dicht  bevölkerten  Ruhr-Rhein Gebiet Hungerrevolten und große Arbeiterdemonstrationen an der Tagesordnung sind.

30. März 1947

Auf  unseren  Dörfern  sind  die  44-er,  soweit  sie  im  Laufe  der  letzten  Zeit  einzeln  heimgekehrt  sind, zusammengetrieben und ins berüchtigte Lager nach Großwardein geschafft worden.

25. April 1947

Die  Konferenz  der  vier  Außenminister  von  Amerika,  England,  Frankreich  und  Russland,  die  am  10. März in Moskau begann und den Friedensschluss mit Deutschland und  sterreich vorbereiten sollte, ist ergebnislos zu Ende gegangen und auf eine  Zusammenkunft der vier Mächte verschoben worden, die im  November  dieses Jahres  in  London tagen soll. Weiteres namenloses  Elend  vieler,  vieler Millionen von Menschen wird die Folge sein. Oder gar ein neuer Krieg?

27. April 1947

Letzte  Nacht hatte ich  einen  merkwürdigen  Traum.  Aus  weiter  ebener  Landschaft  nahte  sich mir ein wild  galoppierendes Pferd. Als ich  näher  hinsehe,  bemerke ich, daß  sowohl  Mähne  wie Schweif des edlen  Tieres in  Flammen  stehen  und daß  es  offenbar  aus  Angst  vor  diesen  Flammen,  die  sich  näher und  näher  an  Kopf  und  Körper  heran  fressen,  in  rasende  Flucht  gestürzt  hat.  Bei  dem  herrschenden Tageslicht  sind die Flammenfahnen eigentlich  kaum zu sehen, aber  das  Tier kommt  mir so  nahe,  daß ich  sie  deutlich  prasseln  höre  und  das  entsetzte  Auge  des  gehetzten  Pferdes  beobachten  kann.  Ich selbst  stehe  auf  einer  Art  Steinterrasse,  die,  wie  sich  später  herausstellte,  zu  einem  Gebäude  gehört ähnlich unserer St.L.Roth–Schule. Um diese Terrasse und dieses Gebäude jagt das brennende Pferd in kurzen und weiteren Abständen mehrmals im Kreise herum. Schließlich erwache ich.

5. Mai 1947

Die  St.L.Roth–Schule  wird  gesetzwidrig  durch  gewaltsames  Eindringen  von  einer  Gewerbelehrlings Schule  besetzt, die nun  hinfort in  den Abendstunden  in unserem Gebäude Unterricht halten wird. Der Besetzung sind wochenlange Verhandlungen  vorausgegangen, deren Ergebnis noch nicht feststand, in denen die Bukarester Behörden aber klar Stellung für uns, die lokalen Behörden gegen uns bezogen.

11. Mai 1947

Helmi trifft von seiner Erkundungsreise nach Westeuropa und Südamerika (Brasilien)ein und berichtet der Familie. Dr. Otmar  Richter  und  Frau  Gisela  sind  für  drei  Tage  unsere  G ste.  Otmar  h lt  im  Kreise  unserer Lagerkameraden und deren Frauen einen Vortrag über „Holland im 17. Jahrhundert“. Gestern machten wir mit ihnen  und Freunden einen Ausflug  nach Baaßen. Wir  hatten herrliches Wetter und tranken im Kelterschopfen der Familie Karres einen herrlichen Tropfen.

20. Mai 1947

Von  unseren  Russland verschleppten  treffen  erschütternde  Nachrichten  ein.  Es  sind  wieder  mehrere Rücktransporte statt nach Rumänien nach Deutschland geleitet worden.  Es  stellt  sich  heraus, daß  die Bedauernswerten  in  einem körperlich  so  heruntergekommenen  Zustand  auf  die  Reise  geschickt  werden,  daß  bereits  während derselben  ein  beträchtlicher  Hundertsatz  zugrunde  geht. Aus Mediasch  beispielsweise Schneider Karl, ein jüngerer Bruder unseres Kränzchen  Freundes Schneider Hans. Andere erreichen  Deutschland so  geschwächt, daß sie nicht  einmal mehr die Kraft  aufbringen,  an  ihre Angehörigen Briefe zu schreiben. Heute nun treffen in Mediasch mehrere  Karten aus dem Umsiedlungslager Neuwiese bei Heuerswerda in der  russischen  Zone  von solchen Heimkehrern  ein, denen  man nach mehr als zweijähriger  Arbeitszeit, in Rumänien die Heimkehr verwehrt, indem man sie  nach  Deutschland geschickt  hat. Sie enthalten u.a.  die traurige Kunde, daß eine ganze  Anzahl  bereits in den Lagern gestorben sind. Von unseren Bekannten: Henter Butz, Herr Alesi von „Westen“, Herr Meszaros Fa. Oberth, Frl. Dietrich u.a. Die  Nachricht vom  Tode  des Henter  Butz  erhält seine Frau gleichzeitig mit einem Brief von  ihm,  den er vor einem halben Jahr schrieb. Ich weiß nicht, ob es nicht überhaupt der einzige war, der sie erreicht hat. Denn so schlecht ist die Postverbindung zwischen den Deportierten und ihren Angehörigen. Frau Ady Henter hat natürlich auch, wie alle Familien, rumänische Einquartierung. Ein junger rumänischer  Arzt  wohnt  Tür  an  Tür  mit  ihr  unter  einem  Dach.  Er  soll  ein  rücksichtsloser  Patron  sein,  der laute Gastereien  im  Zimmer  nebenan  veranstaltet,  das Radio  nächtelang  spielen  lässt, und a uch  in  der Nacht, nachdem die Todesnachricht von Butz eingetroffen war, bis 4 Uhr in der Früh in ungeniertester Weise Damenbesuch empfangen hatte. Sehr bezeichnende Zustände für die heutige Zeit.

8. Juni 1947

Alles in der Natur scheint gegen den Krieg zu sprechen: die Verschiedenheiten der Rassen, der Individuen, der Begabungen, der Temperamente und – die verschiedene Verteilung des Glücks auf die Menschen.  Und  alle  diese  von  der  Natur  gewollten  Verschiedenheiten  versucht  man  sich  durch  gleichmäßige Besitzverteilung  auszulöschen!

9. Juni 1947

Im Mon.  Of. Nr. 121 vom 30.  Mai  1947 ist ein Gesetz erschienen,  durch das allen Personen,  die  seit dem Jahr 1940 im Ausland weilen bzw. in einer militärischen oder paramilitärischen Formation gegen die  Alliierten  gekämpft  haben,  das  rumänische  Staatsbürgerrecht  aberkannt  wird.  Genau  gesagt,  das Gesetz  nimmt  an,  daß sie auf  Grund ihrer  Haltung  auf das Staatsbürgerrecht  selbst Verzicht  geleistet haben.

21. Juni 1947

Schlussfeier  des  Schuljahres  1946/47  an  der  Stephan-Ludwig-Roth-Schule.  Sollte  es  mein  letztes Schuljahr gewesen  sein? Wenn ja, bin ich 24 Jahre im  Schuldienst gestanden.  In diesem letzten Jahre  war  ich  Klassenlehrer  der  Oktava,  zu  deren  Schülern  auch  mein  dritter Sohn  Klaus  gehörte.  Es  war

eine  besonders  gute  Klasse.  Von  16  Schülern  fiel  keiner  durch,  8  bestanden  die  Klasse  mit  einer Jahresdurchschnittsnote  von über 8, also mit Vorzug. Als bester ging Klaus mit der  Durchschnittsnote 8,71  durchs  Ziel.  Unerklärlicher  Weise  verschweigt  Rektor  Draser  in  seinem  Jahresbericht  dieses seltene Vorkommnis und verabschiedet die scheidenden Schüler auch gar nicht.

27. Juni 1947. Kollegenabend bei mir.

29. Juni 1947. Peter und Paulstag im Kothen.

Auf den 30. Juni 1947

ist der  Beginn  des  diesjährigen  Bakkalaureates angesetzt. Werden  unsere  Schüler vor einer deutschen Bakk.  Kommission  die  Prüfung  ablegen  können  oder  nicht?  war  die  Frage,  die  uns  seit  Beginn  des Schuljahres  beschäftigte.  Unterrichtsminister Voitec  hatte  im  Frühjahr  das  „deutsche  Bakk“  Schulrat Rösler  versprochen.  Aber  Zweifel  daran  tauchten  immer  wieder  auf.  Trotzdem  erfolgte  die  Vorbereitung  der  Kandidaten  auf  das  „deutsche“  Bakk  hin.  Als  die  Frage  bis  zum  letzten  Tag  ungeklärt bleibt, entschließe ich  mich, zugleich mit Kollegen Duldner, unsere Söhne  vor einer  staatlichen  Kommission  prüfen  zu  lassen,  um  der  Gefahr  aus  dem  Wege  zu  gehen,  daß  sie  überhaupt  ohne  Prüfung bleiben.  Wir  fahren  nach  Dumbraveni,  allerhand  Risiko  auf  uns  nehmend.  Das  Wagnis  gelingt glänzend.  Klaus  besteht  mit  8,10,  Duldner  Julius  (der  2  Jahre  in  Russland  war)  mit  7,50.  Nachher erfahren wir, daß es zur deutschen Kommission gar nicht kommt, sondern daß alle sächsischen Jungen von einer Staatskommission (in Hermannstadt)  geprüft werden.

Anfang Juli 1947

Der amerikanische  Außenminister  Marshall tritt  mit  einem Plan vor  die  Öffentlichkeit,  den Auf-  und Ausbau der zerstörten Weltwirtschaft mit amerikanischer Finanzhilfe in Angriff zunehmen. Alle Staaten der Welt werden  eingeladen, daran teilzunehmen. England (Außenminister Bevin) und Frankreich (Außenminister Bidault) sagen sofort zu und laden Russland (Molotov) zu einer ersten Vorbesprechung nach Paris ein. Durch Russlands kategorisches Nein, das Molotov in Paris spricht, durchzuckt die Welt eine  neue  Bangigkeit.  Aber  die  Westmächte  lassen  sich  nicht  einschüchtern  und  entschließen  sich dazu, den Marshallplan durchzuführen auch ohne Russland und die von ihm abh ngige Mächtegruppe: Polen, Finnland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Tschechoslowakei. Die große Gefahr, daß die Welt nun noch klarer in zwei Teile zerfallen wird.

5. Juli 1947

schließe  ich in Anwesenheit von Mela mit  der kommunistischen  Parteileitung (Pologea u. Herskovits) eine mündliche Konvention, nach der a) Pol. Kommissar Poras von mir zu Mela übersiedelt, b) zu  uns übersiedelt meine Mutter, c) das ganze Haus Marktplatz 17 wird der K Partei eingeräumt, d) wenn wir weg ziehen, übersiedelt auch Mela zu uns,  Rothgasse  17,  wo  der  Rest  der Familie dann ungeschoren bleiben  soll,  e)  das  Haus  Grafengasse  10  wird  ebenfalls  der  Partei    eingeräumt  und  dieser  das  Verkaufsrecht auf dieses Haus zugesichert.

12. Juli 1947

Herr Negrea zieht aus unserm Gastzimmer aus, ohne uns die Schlüssel zu übergeben. Das Rätsel des Homunkulus klärt sich auf.

15. Juli 1947

Polizeikommissar zieht endlich aus unserer Wohnung aus, nachdem er uns 10 Tage an der Nase herum geführt  und  Mutter mit  ihren  Möbeln  und  Sieben Sachen  in  unserm  Hof und in der Diele  hat  warten lassen. Es  waren  bittere  Tage  voller Spannungen,  Drohungen  und dunkler Gefahrenmomente.  Mutter richtet  sich  das  vordere  Zimmer recht gemütlich  ein, wodurch  eine meiner größten Sorgen schwindet. Auch in materieller Hinsicht sorgen wir für sie, so daß sie Mela nicht zu sehr zur Last fallen wird. Nur an Gold lassen wir ihr 15 Münzen zur freien Verfügung zurück.

26. Juli 1947

Ich fahre nach Hermannstadt: 1. weil wir unsere Beteiligung an der Schuster A.G. liquidieren  wollen, 2. um  einige Tage  vor  unserer  Abreise von Mediasch  zu verschwinden. Wir  befürchten nämlich alle, ich könnte kurz vor unserer Abreise plötzlich wieder verhaftet werden,  wodurch unser ganzer Plan ins Wasser fallen würde.

29. Juli 1947

Erwin  Wittstock besucht mich, um zu erfahren, wie man das macht, einen Reisepass zu erlangen. Alle Welt  beneidet  uns  jetzt um  unsere Pässe.  Unsere  Abreise  beschäftigt die siebenbürgische  Öffentlichkeit in einem ungewöhnlichen Ausmaße.

1. August 1947

verkaufe  ich  unsern  Anteil  an  der  Schuster  A.G.  –  nach  langen  schwierigen  und  zum  Teil  sehr  aufregenden  Verhandlungen  mit  der  Albina  –  schließlich  Herrn  Deputan  für  300  Goldmünzen.  Davon erhalte ich gleich 200 und zwar in Form von rumänischen Goldmünzen und 610 Dollar. Mutter besucht mich und nimmt von mir Abschied.

Am 2. August 1947

fahre  ich  über Mühlbach  – Besuch  bei  Ridelis –  nach Alvincz.  Viktor  liegt krank  im Bett, Ilse  kann sich  kaum  auf  den  Füßen  halten  –  ein  bezeichnendes  Bild  des  sterbenden  Sachsentums.  Der  Stadtpfarrer von Mühlbach weiß nicht, von was er im kommenden Winter leben wird. Der  Taxifahrer,  der mich  nach Alvincz  bringt,  ist  besoffen.  Ebenso  seine zwei  Kumpanen, die vorne mitfahren. Kaum  sind wir 2  km unterwegs,  fängt der  Motor an zu dampfen, das  Kühlwasser ist ausgeronnen.  Leute  in  der  N he  werden  geweckt,  damit  aus  ihrem  Hof  Wasser  geholt  werden  kann. Endlich sind wir auf der  Station:  der Zug hat 60 Minuten Verspätung. Es  ist  Mitternacht. Vollmond. Die  Zeit  vergeht  rasch,  denn  gerade  finden  sich  Harom  Szal  Ceigng  in  der  Bahnhofswirtschaft  ein (ein  Primgeiger,  ein  Zimbelspieler  und  ein  Akkordeonspieler)  und  musizieren  in  der unbeschwingtesten Weise. Ich nehme es als ein gutes Zeichen. Und wirklich trifft Trudl ungefähr um  2 mit Klaus, Hans und Dorothee und unendlich vielem Gepäck ein und ich steige zu ihr in den Schlafwagen. Heimat, lebe Wohl!

3. August 1947

Die unerhört strenge Kotrolle in Curtici. Unser Gepäck wird nicht weniger als 2 Stunden durchstöbert. Klausens  Fotoapparat  und  meine  schöne  Schreibmaschine  wird  uns  abgenommen.  Abends  in  Wien. Gespräch mit Kary.

4. August 1947

Der eiserne Vorhang an der Eusdorfer Brücke.  Der russische Posten ist stur wie nur ein Asiate es sein kann.  Wir  müssen  raus  und  befinden  uns  bei  Sonnenaufgang  mit  Sack  und  Pack  und  der  kleinen Dorothee  auf einer grünen Wiese neben dem  Schienenstrang. Doch schon 3 Stunden später gelingt  es uns mit List und Tücke und sehr viel Glück dennoch durchzuschlüpfen: an der nahe gelegenen Straßenbrücke von Eusdorf. Als der russische Posten den Schlagbaum hochzieht und wir auf einem LKW die Brücke passieren, schlagen wir uns alle vier das Kreuz. Nun  geht’s  rasch  weiter. In  Linz  erwischen wir  den Mittagszug nach  Salzburg, abends  8  Uhr treffen wir in Böckstein ein, allerdings mehr tot als  lebendig. Nur  die kleine  Dorthee wäre gerne noch weiter gefahren.

11.– 19. August 1947

Meine  erste Erkundungsfahrt nach Vöcklabruck (Egon),  Altmünster (Frostrat  Fröhlich), Traunkirchen (Graffius Herberth). Meine Aufgabe ist Winterquartiere zu suchen und die Schulverhältnisse zu erkunden,  außerdem  die  Verbindung  mit  den  Landsleuten  herzustellen.  Von  den  letzteren  lerne  ich  auf dieser Reise 3 Gruppen kennen: a) die Gruppe bei Vöcklabruck geführt von Dr. Keinzel, die Gruppe in Altmünzter, geschart um  Forstrat Fröhlich, b)c) die Gruppe in Traunkirchen und Ebensee (Prof. Kelp und Ing. Herberth Graffius).

22.– 27. August 1947

Meine  zweite  Fahrt nach Altmünster. Aber  zuerst geht es nach Linz, um  die Schulangelegenheit  beim Landesschulamt  zu  sondieren.  Besuch  bei  Ing.Fritz  Kelp  und  Frau.  Schiffshotel  „Franz  Schubert“. Holzhäuserfirma Schaffer. Finster u. Co., Schubertstraße 25. In  Altmünster,  Sonntag  den  24.  August,  großes  Musik-  und  Trachtenfest.  20  Musikkapellen.  Die Ansprache  des  Festredners  im  Schloßgarten.  Der  Nußbaumer Hof.  Zwei Tage  darauf  löst  mich  Hermann ab und ich fahre nach Golling, unsern zwei großen Jungen entgegen.

28. August 1947

Der  glücklichste  Tag,  die  schönste  Nacht  .  .  .  wir  liegen  zu  sechst  im  Heu  der  Almhütte  unter  dem Purtscheller  Haus  und  das  große  Erzählen  beginnt.  Otti  hat  sich  sehr  verändert.  Er  hat  ein  scharf geschnittenes  Gesicht,  ja  beinahe  schon  männliche  Züge  bekommen.  Die  Sprache,  ob  deutsch  oder sächsisch,  sprudelt  aus  ihm  hervor.  Er  hat  sich  geistig  stark  entwickelt  und  ist  ganz  von  seinem Studium erfüllt.

– FORTSETZUNG FOLGT –

Jüdisches Leben in Mühlbach


Dieses Thema wurde in der Vergangenheit, aus wohlbekannten Gründen, mehr oder weniger tabuisiert, doch es gehört zur realen Geschichte von Mühlbachs Vergangenheit. Ich möchte mit diesen Zeilen versuchen, mit einem bescheidenen Rückblick auf die Existenz einer Jüdischen Gemeinde in unserer Heimatstadt aufmerksam machen. Da die Informationsquellen heute nach fast 75 Jahren seit dem Zusammenleben dieser Mitbürger mit den anderen Volksgruppen der Stadt verständlicherweise sehr spärlich sind, werde ich Ihnen bloß das schildern was ich bisher in Erfahrung bringen konnte.
Mit Hilfe von Herrn Ciprian Lazar konnten wir erfahren, dass Frau Maria Farcasiu (heute 89 Jahre alt) sich aus ihrer Kindheit erinnerte, dass sich in der Daia-er Straße (heute: Calarasi) ein jüdisches Gotteshaus, eine Synagoge befand; sie hatte in dieser Gasse ihre Kindheit verbracht. Das Gebäude existiert seit langem nicht mehr, und befand sich auf den Hofstellen der heutigen Häuser Nr. 16 und 18.
Frau Farcasiu erinnert sich, dass die jüdische Bevölkerung ein genügsames und bescheidenes Leben führte, und war gut mit den Nachbarn und der restlichen Bevölkerung zurechtgekommen.
Das Gebäude der Synagoge war ein größerer Bau, bestehend aus einem einzigen Raum und einem Becken mit Wasser außerhalb des Gebäudes von ungefähr zwei Meter auf einen Meter für traditionelle, religiöse Zwecke.

Synagoge. mühlbach

Die alte Synagoge

casa de rugaciuni mozaice sebes 1939

Das Nebengebäude der alten Synagoge 1939 vor dem Abriss.

synagoge

Die beiden heutigen Häuser, wo einst die Synagoge stand.

Der Schabbat (Samstag, der wöchentliche jüdische Feier- und Ruhetag) wurde strengstens eingehalten. Jeden Samstagnachmittag war der Gang der Männer in die Synagoge zum Gebet eine Selbstverständlichkeit. Das Gebet wurde vom Rabbiner (jüdischer Geistliche) geführt. Genau so wurden alle anderen jüdischen Traditionen und Gebräuche, die fast alle aus dem jüdischen Glauben kamen, eingehalten. (Die Thora, die fünf Bücher Moses.) Ebenso, wie die koschere Beköstigung. Dazu gehörte auch die Sch´chita (das Schächten). Die Ausführung blieb dem Schochet (Schlachter) vorbehalten. Das koschere Leben bezog sich aber nicht nur auf die Speisen, so wie allgemein bekannt ist, sondern auf die gesamte Lebensweise, auf die ich jetzt nicht näher eingehen kann und möchte. Tatsache ist, dass die jüdische Bevölkerung ihre Lebensweise in stärkerer Verbindung mit ihrem Glauben führte, als manch andere Konfession.
Die Bevölkerung umfasste in etwa 50 – 60 Familien, die hauptsächlich dem Handel mit verschiedenen Gütern nachgingen, und fast alle in den Gassen rund um den Heumarkt wohnten.

Jüdischer Friedhof

Jüdischer Friedhof von Mühlbach.

Den Gottesacker (Friedhof) hatten sie außerhalb der Stadt in Richtung Roter Berg, neben den Gleisen der Bahnstrecke Mühlbach – Alvincz (Vințu de Jos).
In den Jahren 1936 -1937 wurde die Synagoge geschlossen und die meisten jüdischen Gemeindemitglieder aus mir noch unklaren Gründen nach Karlsburg (Alba- Iulia) verbannt. Die Synagoge von Karlsburg und die übrig gebliebenen Gemeindemitglieder mit ihren Nachkommen existieren auch heute in Karlsburg.

Karlsburg 3

karesburg 4

Die Synagoge von Karlsburg

שלום – Schalom

Beitrag geschrieben von: Horst Theil

Bilder: Cornelia Guju und Christof Baiersdorf und Arhive Alba. Herzlichen Dank!

Otto Folberts Tagebücher Band 44 April 1946 – Mai 1948 (Folge 4)


Otto Folberts Tagebücher

 Band 44

 April 1946 – Mai 1948

Quelle: Siebenbürgen-Institut – Online

In`s Reine geschrieben von:

Gerhard Feder im Juni 2001

Im Auftrag von: Paul J. Folberth

11. Januar 1947

Familienabend der  Familie Folberth in  unserer  schönen großen  Diele  –  die  erste Zusammenkunft seit ca.25 Jahren. Es sind  46 Personen anwesend das ist  nur  ein Teil unserer Familie. Diese  umfasst, wenn wir die Nachkommen meiner väterlichen Großeltern (des  Apothekers Dr.Friedrich Folberth und seiner

Ehegattin  Josepha  von  Heydendorff)  rechnen,  gegenwärtig  144  lebende  Mitglieder.  Davon  leben  in Mediasch  73,  außerhalb  71.  Von  den  letzteren  leben  außerhalb  von  Mediasch  in  Rumänien  28,  in sterreich  11,  in  Deutschland  19,  in  englischer  Kriegsgefangenschaft  1,  nach  Russland  verschleppt bzw.  in  russischer Kriegsgefangenschaft  10.  Den  Anwesenden  erzähle  ich  einiges aus der  Geschichte unserer  wichtigsten  Ahnenlinien  Folberth  und  von  Haydendorff.  Zum  Abschluss  lese  ich  ihnen  aus dem „ Viergespann“ das Kapitel vor „Rings um ein Adelswappen“.

17. Januar 1947

Alfred  Paulini,  Oberleutnant  der  Reserve,  der  einzige  volksdeutsche  Regimentskamerad  meines Bruders  Kon,  ist  nach  vierjähriger  Gefangenschaft  aus  Russland  heimgekehrt.  Er  hat  mich  wissen lassen,  daß  er  um  Mitte  Januar  einige  Tage  bei  seinem  Vetter  in  Hermannstadt  weile    (seine eigene Familie hat ihren Wohnsitz  noch immer in Bukarest)  und  daß  er  bereit sei,  mir nähere  Auskunft über Kons Tod zu geben. Ich fahre hinüber und er erzählt mir folgendes:

„ Ich bin mit Kon zusammen  mit einem Ersatztransport zum Regiment geschickt worden. Wir stießen zu ihm in  Volnovoka,  ca.  60  km südlich  von Stalino.  In  Stalino  hat K on,  auch  in  Gemeinschaft  mit mir,  Sie überall in  den Spitälern  gesucht, weil er der Meinung war,  Sie seien im  Kaukasus verwundet worden,  und  könnten  hier  irgendwo  liegen.  Nach  Marsch  und  Bahnfahrt  und  abermaligem  Marsch ging das Regiment südöstlich von Aksai und gegenüber von Zaza in Stellung. Kon  kann  seinen  ruhigen  gefassten  Brief  am  19.  November  geschrieben  haben.  Auch  ich  schrieb damals  nach  Hause.  Sogar  am  20.  November  war  noch  eine  Weile  lang  alles  ruhig  bei  uns,  bis plötzlich der Befehl kam, Stellungswechsel nach hinten vorzunehmen. Aber  schon  am  21.  November  um  4  Uhr  in  der  Früh  stellte  es  sich  heraus,  daß  die  Straße  vor  uns gesperrt  sei, auf der vorher Kon mit seiner  Munitionskolonne  vom Bahnhof Tinguta her uns  entgegen gekommen war, und daß wir keine Bewegungsfreiheit mehr hatten. Um 6 Uhr Früh  war  unsere  Gefangennahme  und  Entwaffnung  vollzogen.  Mann  nahm  uns  außer  den Waffen  auch Feldstecher  ab, die Kartentaschen,  die Uhren  und ähnliches  und  kontrollierte  uns  durch oberflächliches  Abtasten.  Es  formierte  sich  eine  Kolonne  von  ca.10.000  Mann,  d.h.  unsere  ganze Division. An der Spitze marschierte ein Haufen von ca.450 Offizieren, in dem ich Kon zum ersten Mal wieder  traf.  Wir  schlossen  uns  zusammen  und  Kon  erzählte  mir,  daß  er  auf  der  Fahrt  mit  seiner Kolonne  vom  Bahnhof Tinguta  zur  Stellung  des  Regiments den  Leutnant  Rocsin getroffen habe, der ihn gewarnt hätte, die Fahrt weiter fortzusetzen, daß er seine Warnungen aber in den Wind geschlagen hätte,  weil  er  doch  Befehl  gehabt  habe  dem  Regiment  Munition  zuzuführen.  Kon  wusste  außerdem genau,  daß  die  eine  Batterie  (die  5.te  )  am  Tag  vorher  ca.700  Schuss  verfeuert  hatte  und  nun  ohne Munition  dastand.  Ich  bin  überzeugt,  daß  das  Wissen  um  den  Munitionsmangel  dieser  Batterie  die eigentliche Veranlassung  dafür  gebildet hat, daß  Kon  mit  so  übertriebenem  Pflichtgefühl die   Durchführung des an ihn ergangenen Befehls ins Auge fasste und in sein Verderben fuhr.

Ich  weiß  nicht,  wieso  es  kam,  daß  Kon  ohne  Mantel  in  Gefangenschaft  geriet.  Einige  Tage  darauf erhielt er jedoch von unserem Regimentsarzt einen Wachpelz (Suba), den er fortan trug und unter dem ich  wiederholt  mit  Kon  geschlafen  habe.  Übrigens  war  es  zu  Beginn  unseres  Marsches  in  die

Gefangenschaft nicht sehr kalt. Es lag kein Schnee auf der Erde. Ab und zu nieselte es. Es waren graue neblige Tage. Ich kann mich nicht erinnern, daß die Sonne einmal geschienen hatte.

Gleich  in  der  ersten  Stunde  unseres  Marsches  ereignete  sich  ein  Zwischenfall.  Eine  motorisierte russische Kolonne  fuhr  an  uns  vorbei  Frontwerts.  Auf  einem der  Fahrzeuge  saß  ein  russischer  Soldat mit einer Maschinenpistole im Arm, deren Mündung gegen uns gerichtet war. Gerade als das Fahrzeug

an  unserem  Offiziershaufen  vorüber  rollte,  drückte  der  Soldat  ab  und  feuerte  mehrere  Schüsse  in unsere  Kolonne.  Sie  trafen  unseren  Regimentskameraden  Lt.Tataru  so  schwer,  daß  er  sofort  tot zusammenbrach.  Aber  auch  dessen  Bruder  Eugen,  der  sich  um  den  Toten  oder  noch  Schwerverwundeten zu schaffen machte,  erhielt einen Schuss in den  Oberschenkel. Weshalb der Russe geschossen hatte, ist  uns immer ein Rätsel geblieben. Eugen Tataru machte trotz  seiner Verwundung unseren Marsch noch sieben Tage mit, dann starb er ebenfalls. In  den  langen Gefangenenkolonnen  bildeten  sich  nach  und  nach  kleinere  Marschgemeinschaften, Kameradschaften,  die  fest  zusammenhielten  und  sich  gegenseitig  unterstützten.  Kon  bildete  mit  mir und  meinem  Offiziersburschen  Michael  Hamlescher  aus  Urwegen  den  ich  bei  mir  hatte  behalten können  und  der  ein  sehr braver  und  findiger  Bursche  war,  eine solche Gemeinschaft.  Später  schloss sich  uns  auch  Dani  Zimmermann  aus  Schäßburg,  Oberleutnant  d.R.  unseres  Schwester-Artillerie-Regiments,  an.  Wir  bildeten  also  zu  viert  eine  sächsische Gruppe.  Wir  drei  Offiziere  hatten  uns versuchshalber alle Rangabzeichen von den Uniformen entfernt.

Die  Bewachung  der  Gefangenenkolonnen  war  eine  sehr  oberflächliche.  An  der  Spitze  marschierten oder  ritten  oder  fuhren  einige  russische  Soldaten  und  ebenso  am  Ende.  Was  wir  auf  dem  Marsche trieben, darum kümmerten sie sich überhaupt nicht. Sie waren sich völlig  im Klaren darüber, daß  sich in der menschenleeren  Wüstenei der Kalmückensteppe, durch  die unser Weg ungefähr  dem  Laufe  der unteren Wolga folgend, jedoch ohne sie jemals zu berühren,  führte, niemand von uns dazu  entschließen werde, das Weite zu suchen. Denn das Weite hätte sichersten Tod bedeutet.

Bald  nach  unserer  Gefangennahme  kamen  wir  durch  ein  Dorf.  Es  sollte  für  längere  Zeit  die  letzte menschliche  Behausung  sein, die wir  antrafen.  In  diesem  Dorf  wurde der  Kolonne  Halt geboten  und der  Haufen  der  Offiziere  wurde  an  einige  russische  Kraftwagen  herangeführt,  die  vor  einem  Hause hielten. Kon und ich leisteten dieser Aufforderung jedoch keine Folge und blieben in der Kolonne der Mannschafssoldaten.  Später  erfuhren  wir,  daß  es  der  Marschall  Timoschenko  war,  der  die  Offiziere um sich versammelt hatte, um ihnen mitzuteilen, daß sie ohne Sorge zu sein brauchten, es würde ihnen nicht das geringste Leid geschehen, sofern sie keine Fluchtversuche unternehmen und allen russischen Anordnungen Folge leisten würden.

Von dem  Marsch in die russische  Unendlichkeit  kann  ich  nur  wenig erzählen,  da  wir  Tag und Nacht immer  die  gleichen  Eindrücke  empfingen.  Eine  eigentliche  Marschordnung  gab  es  kaum  in  unserer Kolonne.  Diese  zog  sich  vielmehr  sehr  auseinander  und  bestand  aus  größeren  und  kleineren  Trupps dahintrottender  Menschen.  Da  wir  kaum  jemals  menschliche  Behausungen  antrafen  und  vor  allem niemals solche, die uns hätten aufnehmen können, waren auch keine Rastplätze oder Rastzeiten vorgesehen, weder  bei Tag  noch  bei Nacht.  Vielmehr ergab es sich, daß  jede  Gruppe  oder  jede  Kameradschaft so lange wanderte, bis sie vor Müdigkeit hinfiel und nun, eng auf der Erde an einander gekauert, zu schlafen  versuchte.  Die  herrschende  Kälte  setzte diesen Einzelrasten natürlich  sehr bald  ein  Ende und veranlasste  die  betreffende Gruppe schon nach wenigen  Stunden freiwillig weiter zu  marschieren.

Mittlerweile war die  ganze Kolonne  an den Ruhenden vorbeigezogen und diese trachteten  nun wieder darnach,  die  Spitze  derselben  zu  erreichen.  So  bewegte  sich  die  Kolonne  sozusagen  ohne  Unterbrechung und ohne von den russischen Begleitsoldaten getrieben zu werden in einem gleichmäßigen Trott

vorwärts. Am 6. Tag stießen wir in der Steppe auf  einen Schafkolchos. Dort erhielten wir die erste Verpflegung: je 5 Mann fasste ein Brot, je 2 Offiziere dazu eine Fleischkonserve. Kon und mir  gelang es  die  Konserven  über  getrocknetem  Schafdünger,  den  wir auf dem  Fußboden  eines  Stalles  zusammenkratzten, etwas aufzuwärmen. Wir konnten sie aber nicht aufzehren, da unsere M gen schon zu  sehr zusammengeschrumpft waren und uns den Dienst versagten. Überdies wahrscheinlich auch deshalb, weil uns der Durst  zu  sehr  plagte.  Die  Kolchosbrunnen  hatten  die  ersten  Ankömmlinge  sofort  ausgesoffen,  und Schnee lag noch immer keiner auf der Erde.

Nach  weiteren  4-5 Tagen  erhielten  wir  das  zweite  Mal Verpflegung,  diesmal  bestand  sie jedoch bloß aus Brot. Ungefähr  14  Tage  nach  Antritt  unseres  Marsches  näherten  wir  uns  einem  am  Wolgaufer  gelegenen schönen großen Dorf. Sofort erkannten wir es an seiner Bau art als eine deutsche Siedlung. Wie freuten uns,  als  wir  seiner  ansichtig  wurden!  Unsere  Lebensgeister  erwachten  wieder. Wie  enttäuscht  waren wir  aber,  als  wir  gleich  darauf feststellten,  daß  seine  Einwohner  schon  vor  längerer  Zeit  bis  auf  die letzte  Seele  verschleppt  worden  waren  und daß  alle  seine  Häuser  unbewohnt  und  verlassen  standen. Wir haben infolgedessen nicht einmal seinen Namen erfahren können. Nur einen Genuss bescherte uns dieser  Ort:  wir  konnten  uns  endlich  einmal,  wenn  auch  bloß  mit  Wolgawasser,  satt  trinken.  Dazu fassten  wir  hier  je 10 Mann  ein  Brot.  Ich  brauche  hier  nicht  zu  erwähnen,  daß  uns  Genussmittel  wie Zigaretten selbstverständlich schon in den ersten Marschtagen ausgegangen waren Um  4  Uhr  nachmittags  dieses  Tages  wurden  wir  am  Landeplatz  dieses  Dorfes  auf  einen  Wolgaschlepper mit Motorantrieb  verladen. Wie groß dieser Schleppkahn  gewesen  ist, können Sie sich  vielleicht vorstellen, wenn ich Ihnen  sage, daß  unsere ganze Kolonne, also  ungefähr 10.000 Mann,  darin Platz fanden. Wir standen allerdings so zusammengepfercht, daß niemand auch nur sitzen konnte. Wir zwei mit Kon standen beiläufig in der Mitte des Kahnes, wogegen  wir nichts zu einwenden hatten, als gerade  jetzt  ein  eisiger  Wind  aufkam  und  wir  auf  unserem  Platz  infolge  der  dicht gedrängten  Menschenleiber  um  uns,  etwas  geschützter  waren  als  die  Kameraden  am  Rande.  Die  Wolga  war  nicht zugefroren, jedoch führte sie Eisschollen. Diese  berfahrt  über  die  Wolga  wurde  uns  nicht  allein  der  Abwechslung  halber,  sondern  auch  aus einem  anderen  Grunde  zu  einem  unvergeßlichen  Erlebnis.  Als  wir  nämlich  nach  bereits  eingebrochener Dunkelheit mitten auf dem mächtigen Strom schwammen, blieb der Schlepper plötzlich  stehen und da  wir nicht wußten, aus  welchem Grunde er sich nicht mehr vorwärts  bewegte, bemächtigte sich unser im Nu eine panikartige Verzweiflung. Kurz vorher hatte das Gerücht die Runde durch das Menschenknäul gemacht, die sechs deutschen Soldaten, die wir in dem Dorfe vorgefunden und die als erste den Schlepper bestiegen hatten,  seien ins Wasser geworfen  worden. Jetzt,  als der Schlepper mitten  im Strom  hielt,  wanderte die Befürchtung  von  Mund  zu  Mund, nun würden  Anstalten getroffen,  um uns allesamt  zu  ersäufen.  Es dauerte lange,  bis  wir drauf kamen,  daß  wir auf  eine  Sandbank  aufgelaufen waren  und  noch  viel  länger  dauerte  es,  bis die russische Besatzung des  Schleppkahnes diesen  wieder bewegungsfähig  und  fahrtbereit  machte.  Erst  um  2  Uhr  nachts  erreichten  wir  das  östliche  Ufer  und gingen aus dem Kahn. Eine Schreckensnacht lag hinter uns. Von  dem  Augenblick  angefangen,  wo  wir  das  östliche  Ufer  der  Wolga  betreten  hatten,  wurden  wir kaum noch bewacht. Wir hätten uns frei nach allen Richtungen hin bewegen können. Aber es war klar, daß  wir alle nach dem russischen  Dorfe hin  drängten, das in  einiger Entfernung  vom Ufer  lag und wo wir in der kalten Nacht  uns eine Unterkunft erhofften. Tatsächlich fanden wir dort auch ihre sieben in einem  kleinen  Stall  ein  Obdach und darin  für einige Stunden Schlaf.  Wir hatten  großes  Glück,  dabei nicht bestohlen zu werden, denn andern Gruppen ist es hier schlecht ergangen. Von der wenigen Habe die sie noch mitführten, ist ihnen ein beträchtlicher Teil hier abhanden gekommen. Ohne  in diesem  Orte irgendwie  gelabt  worden  zu  sein,  setzten  wir  am  nächsten  Tag  unsern  Marsch, jetzt also durch  die Kirgisensteppe, in nordöstlicher Richtung weiter fort.  Diese Steppe ist wenn möglich  noch  trostloser  und  unwirtlicher  als  die  Kalmückensteppe.  Gottseidank  fing  es  drei  Tage  nach unserm Wolgaübergang  endlich  an  zu  schneien.  Endlich ja! Denn  nun  konnten  wir  wenigsten  unsern Durst mit Schnee löschen, wovon wir reichlich Gebrauch machten. Um diese Zeit glaube ich, war es, daß unser Regimentskommandeur Jurka schlapp machte und nur auf Kon und mich gestützt sich fortschleppen konnte. Wir kamen bald zu einem Haus, wo wir 40 Offiziere notdürftig  Unterkunft  fanden.  Ich  kann  ihnen  nicht  mehr  sagen,  ob  wir  uns  hier  Stunden  oder  Tage lang  aufhielten,  denn  mein  Gedächtnis  hat  die  jetzt  folgenden  Eindrücke  nur  unvollkommen  aufbewahrt, wie  wir ja alles  infolge  der  großen  Erschöpfung  nur  noch  in einem  bestimmten  Sinne bewusst lebten.  Ich  weiß,  daß  Jurka  sich  hier  erholte  und  wieder  halbwegs  zu  Kräften  kam,  während  Kons Willenskraft  auf  dem  weiteren  Marsche  rapid  abnahm.  Ich  wehrte  mich  mit  dem  Aufgebot  meiner letzten Energie dagegen, mich  von Kon  anstecken zu  lassen und  bearbeitete ihn mit allen Mitteln, um auch  ihn  wieder aufzupulvern. Jedoch vergebens. Ich mußte ihn nun oft, indem ich  seinen einen Arm über  meine  Schulter  schlang  hinter  mir  herziehen  –  kein  ungewöhnlicher  Anblick  in  der  langen Kolone –  sonst  hätte  ich  die  Verbindung  mit  ihm  verloren.  Erstrecht  bewegten  wir  uns  ständig  am Ende der Kolonne und es gelang uns fortan nicht mehr , ihre Spitze zu erreichen. Den Schluß  des  traurigen  Zuges bildeten  zwei  russische  Milizsoldaten.  Diese  hatten für  die Schwerkranken, die nicht mehr marschfähig waren, irgendwoher einen Schlitten aufgetrieben. Sie hatten auch Kon gelegentlich aufsitzen lassen. Dieser aber sträubte sich dagegen und rief ihnen  zu : ,,Schießt mich lieber nieder, dann ist es wenigstens aus!“

Sechs oder sieben Tage nach dem Wolgaübergang fiel nun dicker Schnee und es wurde sehr kalt. Kon erlitt mehrere Schwächeanfälle. Als er  wieder einmal zusammensackte, erbarmte sich seiner ein er  der russischen Begleitsoldaten und  verabreichte  ihm ein  braunes  Pulver.  Wahrscheinlich war  es Koffein.

Es  wirkte  auch  vorübergehend.  Trotzdem  kam  ich,  dessen  Kräfte  nun  ebenfalls  in  beängstigender Weise  abzunehmen  begannen,  am  Abend  dieses  Tages  mit  Kon  auseinander.  Er  blieb  am  Ende  der Kolonne zurück, während ich mich ein Stück Weges vorarbeiten konnte. Am nächsten Morgen vernahm ich zum letzten Mal Kons Stimme. Er rief  vom Ende der Kolonne her wiederholt  nach  vorn,  wo  wir  marschierten:  ,,Vasile!  Fred!“  Vasile  ist  der  Vorname  unseres  Regimentskameraden, des damaligen Leutnants und jetzigen Majors Manzarar. Als ich mich umkehrte, um zu sehen, was los sei, gewahrte ich, wie sich Kon, auf zwei rumänische Offiziere gestützt, anschickte, aus der Kolonne nach halbrechts  auszuscheren  und Richtung auf ein auf freiem Felde  stehendes  Haus zu  nehmen.  Der  russische  Posten  ging  mit,  ein  Zeichen  dafür,  daß  Kon  im  Einverständnis  mit  ihm handelte.  Es sprach  sich in der Kolonne  herum,  ein Auto werde die Marschunfähigen  aus jenem Haus abholen und uns nachführen.

Nachmittags  erreichten  wir  ein  Dorf,  in  dem  ein  Haus  mit  Pritschen  in  zwei  Etagen  unserer  harrte. Ungefähr 2 Stunden nach unserer Ankunft dort fuhr wirklich ein Auto vor, aus dem Schwerkranke und Marsch  Unfähige ausgeladen  wurden.  Ich drängte  mich sofort  heran, stellte  aber zu meinem  Leidwesen  fest,  daß Kon  unter  ihnen  fehlte. Von  einem rumänischen Leutnant  aus  Bacau,  dessen  Name mir entfallen ist, erfuhr  ich  dann, daß  Kon in dem  Haus  einen Schwächeanfall nach  dem  anderen erlitten habe, ja daß er in einer Art von Tobsuchtsanfall den russischen Posten tätlich angegangen habe. Dieser habe Kon schließlich mit dem Gewehrkolben niedergemacht. Auch hat mir der Regimentsarzt vom 18. Dorobanzen Regiment gesagt,  er  habe  Kon mit  zerschmetterten  Rippen gefunden. Er sei  in der  Nähe des  Hauses  in  einer  80  cm  tiefen  Grube  begraben  worden.  Letzteres weiß  ich  von  solchen,  die  sehr unwillig  waren,  auf  Geheiß  des  russischen  Postens  dieses  Grab  schaufeln  zu  müssen,  da  die  Erde damals  schon  steinhart  gefroren  war  und  es  für  sie  eine  große  Anstrengung  bedeutete.  Niemand  hat ihm den  Ehering abgenommen.  Ja er soll  sogar,  wie mir  versichert  worden ist,  in  seinem Pelz  begraben worden sein!“

,,Wann also ungef hr ist mein Bruder gestorben?“ fragte ich Herrn Paulini. ,,Ich schätze, daß es zwischen dem 10. und 16. Dezember 1942 gewesen sein könnte.“ ,,Herr Manzara hat uns den 19.- 21 Dezember genannt.“ ,,Ich sagte ihnen schon, Herr Professor, daß wir damals infolge der ungeheuren Erschöpfung alle nicht mehr  bei  klarem  Bewußtsein  waren.  Mein  Gedächtnis  Beispiel weise  kann  die  Eindrücke  ganzer Wochen einfach nicht  mehr  reproduzieren.  Sie sind wie ausgelöscht.  Ich kann mich  also  auch  irren – aber ebenso Herr Manzara.“ ,, Und wo ungefähr liegt mein Bruder begraben?“

,, Sagen wir 100 km östlich der Wolga. Eine n here Ortsangabe zu machen, ist mir unmöglich.“ ,, Und wie ist es Ihnen selbst später ergangen, Herr Paulini ?“

,,Drei Tage  nach  dem  Tode  Kons erreichten  wir  das  Auffanglager   50 oder 58. Ich  kann mich  auf die Nummer nicht  mehr  genau  erinnern.  Dort fanden  wir  bereits  2000 deutsche  Landzer vor, die in Bunkern und Erdhöhlen hausten. In diesem Lager verbrachten wir Weihnachten 1942. Als man uns wieder in Marsch setzen wollte, stellte es sich heraus, daß vom Offiziershaufen unserer Division nur noch 161 in  der  Lage  waren,  weiter  zu marschieren.  (Meine  Zahlenangaben  beschränke  ich  absichtlich  auf diesen  Offiziershaufen, da ich über die große Masse der Gefangenen keine Übersicht hatte.) Ich selbst gehörte  zu  denen,  die  weiter  marschierten.  Ich  war  ja  viel  jünger  als Kon  und  hatte  mich  in  diesem Auffanglager  auch  etwas  erholt.  Zu  meinem Glück!  Denn  der  zurückbleibende  Rest meiner Kameraden ist in diesem Lager durch bald darauf Ausbrechenden Typhus und Ruhr fast ausnahmslos zugrunde gegangen.

– FORTSETZUNG FOLGT –

Der Zimmermaler Meister – Josef Schmidt –


– Der Zimmermalermeister – Josef Schmidt –

 

001-Josef Schmidt 02 - Kopie

(1883 – 1965)

Mit dem Handwagen, voll bepackt mit Farbtöpfen, Pinseln und Leitern, Rollmustern und Musterschablonen durch Mühlbachs Straßen ziehend, so kannte man ihn, den Zimmermalermeister Josef Schmidt.

Josef Schmidt war ein mittelgroßer eher zart gebauter Mann, sehr flink, in allem was er tat, mit lebhaften blauen Augen, weißen vollen Haaren, eine leicht gebogene Nase und markantem Profil. Er war ein fröhlicher, humorvoller Mann, und stets auf das Wohl seiner Familie bedacht.

Aber sein Leben war nicht immer voller Sonnenschein, denn der erste Weltkrieg, an dem er als junger Mann teilnehmen musste, hat die Familie hart hergenommen. Ehefrau Luise (Tochter des bekannten „Tschismenmachers“ Heinrich Hatzack), und Töchterchen Edda mussten ohne ihn einige Jahre zurechtkommen.

Opas Haus348N

Das Haus in der Gallusgasse

Aus dem Kriege zurückgekehrt, begann er für seine kleine Familie ein Haus in der Gallusgasse zu bauen. Dafür musste er hart arbeiten, denn die Mühlbacher betrachteten das Bauvorhaben argwöhnisch und voller Neid, und gaben ihm keine Arbeit. Die Aufträge blieben aus und die Schulden wurden immer höher. Aber das ließ ihn nicht den Mut verlieren, sondern er suchte sich Arbeit in den Dörfern des Unterwaldes und hier war er ein gefragter Mann. So konnte er nach und nach seine Darlehen für den Hausbau abbezahlen und allmählich hatten auch die Mühlbacher sich wieder an ihn und seine Handwerkskunst erinnert und die Aufträge mehrten sich. Das sicherte der inzwischen fünfköpfigen Familie ein gutes Auskommen.

Werbeanzeige_Gemeindeblatt_1925_J_SchmidtWerbeanzeige im Gemeindeblatt 1925

 

Es gab kaum ein Haus in Mühlbach, wo er nicht wenigstens einmal beratend, fachkundig, mit Pinsel, Farbe, Lineal und Musterrolle zu Werke gewesen wäre. Dabei machte er keinen Unterschied, ob es private Haushalte, Firmen oder Institutionen waren, ob hier deutsch, sächsisch, rumänisch oder ungarisch gesprochen wurde, egal wo immer Not am Mann war, wurde sein sachkundiges Wissen erfragt und geachtet. Man ließ ihn nach seinem Gutdünken schalten und walten und war mit der gelieferten Arbeit über Jahre hinweg zufrieden.

003-Zimmermalermeister J. Schmidet mit Ehefrau luise

Josef Schmidt (1883 – 1965)

Mit

Ehefrau Luise Schmidt ((1883 – 1965)

Josef und Ehefrau Luise Schmidt (1893 – 1980) waren auch in verschiedenen Vereinen der Stadt sehr aktiv. Josef Schmidt war als Tenorsänger Mitglied in der „Liedertafel“, und Luise Schmidt beim Frauenverein und Jugendbund tätig, war bei der Organisation von Faschingsveranstaltungen und Festbällen und Kommersabenden eine führende Kraft, studierte mit der Jugend Theaterstücke ein, schrieb zu verschiedenen Anlässen Gedichte, Anekdoten und Kurzgeschichten, die sie vortrug, dramatisierte Märchen und Kindergeschichten für die Schulklassen, wo sie auch teilweise Regie führte. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und der Nachkriegszeit, war das kulturelle Leben der Stadt ohne die beiden kaum denkbar.

Geselligkeit und Familienfeiern wurden immer unter Heranziehen der ganzen Familie gefeiert. Es wurde sehr viel musiziert und gesungen. Die beiden älteren Töchter spielten jeweils Klavier und Violine. So trug das Haus in der Gallusgasse zu Recht den Beinamen „Das Sonnenhaus“.

Nach dem Tod der jüngsten Tochter Irmgard, die 20-jährig an Zuckerkrankheit starb, zog sich das Ehepaar Schmidt aus dem öffentlichen Leben etwas zurück. Es folgte der zweite Weltkrieg, der ihm durch russische Einquartierungen und Deportation ihrer ältesten Tochter Edda nach Russland doch viel Verantwortung und Pflichtgefühl abverlangte. Trotzdem versuchten sie, nicht zu verzagen und das Leben zu meistern, was ihnen auch gut gelungen ist.

Josef Schmidt ging seiner Arbeit nach, und Luise Schmidt sorgte für die Enkel und die mittlere Tochter Traudl, die wieder im Elternhause mit ihren beiden Kindern lebte. So hatte es sich J.Schmidt zur Aufgabe gemacht, für alle (inzwischen waren es fünf Enkel) zu sorgen. Er tat es mit viel Pflichtbewusstsein, Besonnenheit und viel, viel Güte. Er wusste auch immer einen Rat und war stets hilfsbereit.

Er gönnte sich wenig Auszeit, und war immer in Bewegung. Wenn er von seiner Arbeit kam, gab es für ihn auch noch Arbeit in Garten, den er sehr liebte und pflegte und viel Zeit damit verbrachte, anfallende Arbeiten hier durchzuführen. Erst wenn es dunkel wurde, machte er endlich Feierabend, dann aber spielte er mit den Enkeln „Mensch ärgere dich nicht“ oder andere Spiele. Er möchte Kinder sehr und war für manche Späße zu haben, was seine Gattin mit strengem Auge beobachtete, um ja nicht „über die Schnur“ zu hauen.

Er hatte auch bestimmte Vorlieben, die er pflegte. So war der sonntägliche Frühschoppen nach der Kirche „im Unterwald“ mit seinen Freunden ein obligates Muss um die Geselligkeit zu pflegen und das aktuelle Leben und die Ereignisse mit ihnen zu erörtern. Musikalisch hatte er auch seine Favoriten. Seine Lieblingslieder waren der Baby-Booggi von Ralph Bendings und die „Elisabeth“-Serenade vom Günther Kalman-Chor gesungen. Dann strahlten seine Augen.

Er klagte nie über ein Leid oder Gebrechen, war Zeit seines Lebens nie ernsthaft krank. Das Zeitungslesen abends war die einzige Zeit, die er ruhig verbrachte und damit seinen arbeitsreichen Tag beendete.

Als er 82-jährig starb, war das für die Familie ein großer Verlust. Seine fleißigen Hände ruhten jetzt und seine strahlend blauen, lebhaften Augen waren für immer zu, seine klare, warme Stimme verstummt. Ein Lebenskreis hat sich geschlossen!

Doch Josef Schmidt bleibt seinen Nachkommen stets gegenwärtig und lebendig in Erinnerung, denn trotz aller Widrigkeiten und Schicksalsschläge, die das „Sonnenhaus“ in Mühlbachs Gallusgasse trafen, ist es dem Ehepaar Josef und Luise Schmidt doch gelungen, den Kindern gute Eltern zu sein, den Enkeln die fehlenden Elternteile zu ersetzen, und ihnen eine sorglose, glückliche Kindheit und Jugendzeit zu bescheren, wofür diese ihnen stets ein dankbares Andenken bewahren werden.

Beitrag geschrieben von: Edda Rother

Bilder:  Manfred Ziegler

Dank an Herr Gerhard Wagner für den zur Verfügung gestellten Text.

Otto Folberts Tagebücher Band 44 April 1946 – Mai 1948 (Folge 3)


Otto Folberts Tagebücher

 Band 44

 April 1946 – Mai 1948

Quelle: Siebenbürgen-Institut – Online

In`s Reine geschrieben von:

Gerhard Feder im Juni 2001

Im Auftrag von: Paul J. Folberth

31. Mai 1946

Wie selten das Schicksal zuweilen waltet! Im Sommer 1942 kam, wie Mela erzählt, die junge Frau desMediascher  Advokaten  Craciun  zu  wiederholten  Malen  ins  Geschäft  zu  Kon.  Ihr  Mann  und  Konwaren  Regimentskameraden.  Ihr  Mann,  viel jünger als Kon,  war damals  mobilisiert  und beim  Regiment an der  Front. Sie  klagte Kon  und  Kon soll  sich  auch  durch  sie  dazu  haben  bereden lassen,  sich freiwillig  zum  Dienst an  der Front zu melden. Tatsache  ist, daß Leutnant Craciun durch Oberleutnant Folberth  abgelöst  wurde  und  jener  kurz  vor  Einbruch  der  Katastrophe  am  Don  ins  Hinterland  kam, während Kon gefangen genommen wurde und zugrunde ging. Jetzt, als die Nachricht von Kons Tod  nach  Mediasch gelangte,  befand  sich  Frau  Craciun  in anderen Umständen.

31. Mai 1946

Wie selten das Schicksal zuweilen waltet! Im Sommer 1942 kam, wie Mela erzählt, die junge Frau des Mediascher  Advokaten  Craciun  zu  wiederholten  Malen  ins  Geschäft  zu  Kon.  Ihr  Mann  und  Kon waren  Regimentskameraden.  Ihr  Mann,  viel jünger als Kon,  war damals  mobilisiert  und beim  Regiment an der  Front. Sie  klagte Kon  und  Kon soll  sich  auch  durch  sie  dazu  haben  bereden lassen,  sich freiwillig  zum  Dienst an  der Front zu melden. Tatsache  ist, daß Leutnant Craciun durch Oberleutnant Folberth  abgelöst  wurde  und  jener  kurz  vor  Einbruch  der  Katastrophe  am  Don  ins  Hinterland  kam, während Kon gefangen genommen wurde und zugrunde ging. Jetzt, als die Nachricht von Kons Tod  nach  Mediasch gelangte,  befand  sich  Frau  Craciun  in anderen Umständen. Vor einigen Tagen kam sie unglücklich nieder und starb am 29.Mai im Kindbett.

1. Juni 1946

In  Bukarest  wurden  von  den  durch  das  Volksgericht  (tribunalul  poporului)  zum  Tode  verurteilten Hauptkriegsverbrechern  Rumäniens  vier  hingerichtet:  Jon  Antonescu,  Mihail  Antonescu,  Constantin Vasiliu und Gheorghe Alexigan.

1. Juli 1946

Deutschland  hungert,  wenigstens  soweit  es  von  Engländern,  Amerikanern  und Franzosen  besetzt  ist (das von  den  Russen  besetzte  Gebiet,  der Osten, wies  von jeher  agrarischen  Beschluss  auf, der  sich heute vermutlich umso stärker auswirkt, als sehr große Bevölkerungsteile ihn aus politischen Gründen verlassen haben und eine Lebensmittelausfuhr in die anderen Gebiete von den Russen nicht zugelassen wird.)  Nach  Meldungen  des  Londoner  Rundfunks  mussten  die  Lebensmittelrationen  in der  britischen Zone  auf  1000  Kalorien  herabgesetzt  werden  (in  den  britischen  Gefangenenlagern  erhalten die  deutschen  Soldaten  ca.2000 Kalorien)  und  es  sei sehr unsicher,  ob sie  bis zur  Ernte nicht  weiter  verkürzt werden müssten. Otti  und  Paul  haben  die  Einreise  in  die  Schweiz  noch  nicht  bewilligt  erhalten,  da  gegenwärtig  für rumänische  Staatsangehörigen Einreiseverbot dorthin besteht  (wie  auch umgekehrt Einreiseverbot für Schweizer  nach  Rumänien).  Ich  habe  ihnen  geraten,  noch  zwei  Monate  lang  zu  versuchen,  in  die Schweiz zu  gelangen,  und  im  Falle des Misslingens  nach Hause zu  kommen.  Ich  kann  Otti nicht  dem dritten, Paul dem vierten Hungerwinter aussetzen.

10. Juli 1946

Mein  50.  Geburtstag.  Er  steht  ganz  im  Zeichen  des  regen  Briefaustausches  mit  Otti  und  Paul.  Jeder von uns dreien hat bis zu diesem Tage schon an die zwanzig Briefe zur Versendung gebracht, die auch zum  aller  größten  Teil,  wenn  auch  reichlich  langsam  (in  3-4  Wochen)  ihr  Ziel  erreichen.  Natürlich schreibt  auch Trudl  den  Jungen  oft,  und  zuweilen schreiben  ihnen auch  ihre  Brüder.  Zuhause  veranstaltet Trudl  ein sehr schönes Familienfest in engerem Kreise. Wir lesen einige Briefe der Jungen  vor und Trudl singt Lieder, die Klaus auf dem Klavier begleitet.

29. Juli 1946

Beginn der Friedenskonferenz von Paris, auf der 21 alliierte Staaten (in erster Linie USA, England, die Sowjetunion  und Frankreich)  Frieden  schließen  sollen  mit  Italien, Rumänien,  Bulgarien,  Ungarn und Finnland.

7.–10 August 1946

Ausflug mit meinem Schwiegervater, mit Trudl, Gretl und Hans zur Schäßburger Hütte, im Sambata –Tal. Von dort Aufstieg durch das große  Fenster zum Urlea-Gipfel. Wir staunen über  den großen Touristenverkehr  auf  dem  Hauptkamm.  Ja,  seit Monaten  herrscht  halt ausgesprochen  schönes  und über trockenes Wetter! Hochbefriedigt kehren wir Heim.

Am 19. August 1946

wurde  durch  ein  Decret-Lege, erschienen  im Monitor Oficial Nr.191,  bestehend aus  wenigen  Zeilen, sowohl das  Baron Brukenthalsche Museum wie  auch das Naturwissenschaftliche Museum zu Gunsten des Staates enteignet.

19.–23. August 1946

Infolge  der  ungeheuren,  von  uns  in  diesem  Ausmaße  noch  nie  erlebten  Trockenheit  und  der  für  die Ernährung des  Landes  katastrophalen  Dürre  entstehen  allenthalben in Siebenbürgen große  ausgebreitete  Waldbrände.  Am  sensationellsten  wirkt  die  Nachricht  vom  Brand  der  Zinne  in  Kronstadt.  Die Gefahr schien  dort  schon so groß  zu sein, daß  die Bewohner der Burggasse aufgefordert  wurden,  ihre Häuser zu räumen. Doch da setzte auch schon ein wolkenbruchartiger Regen ein und setzte dem Feuer ein Ende.

29. August 1946

Ich  vertrage die Wärme gut und habe,  zumal  in Rußland,  ungeheuer  heiße Sommer erlebt. Aber  an so eine  konstante  Hitze  wie  in  den  Monaten Juli  und  August  d. J. in  Siebenbürgen  kann  ich  mich  nicht besinnen. Die Dürre wurde zur Plage für Mensch und Vieh. Wochenlang war keine Wolke am Himmel zu  sehen.  In der Nacht  fiel  kein Tau. Erst nach Mitternacht sank  die Temperatur spürbar. (Ich schlief stets draußen auf dem Balkon). Autos und Fahrräder hatten Pneupannen am  laufenden Band,  weil der Straßenkörper zu  heiß war. Zum Schluss  lastete ein bleierner, staub-durchsetzter Steppenhimmel über dem  Land,  an  dem  die  Sonne  blutrot  auf  und unter  ging.  Jetzt  endlich  hat  es  in  manchen  Teilen  des Landes geregnet, die große Hitze ist gebrochen, die ersten Herbsttage sind da.

31. August – 3. September 1946

besteigen  wir  mit  Trudl  Gretl  und  Klaus  den  Königsstein.  Anfahrt  über  Zernesti  nach  Plaiul  foii. Aufstieg  von  dort  über  die  Westwand.  Hirtenspitze  2460  m.  Übernachten  in  der  ADMIR-Hütte  auf zwei Tischen im Speiseraum.  Die (rumänische) Hütte macht einen kl glichen Eindruck. Nächsten Tag Wanderung  zur  SKV-Hütte,  einem Schmuckkästchen im  Vergleiche  zur  Admirhütte,  Besteigung  des kleinen Königstein vorbei an der  herrlichen Crapatura-Schlucht,  die  den großen vom  kleinen  Königstein trennt. Sehr, sehr lohnend.

Abstieg  nach  Zernesti: Wir  hatten  gutes  Wetter.  Wir  gingen  ohne  Führer  und sogar  ohne  Karte.  Die  schweren  Ruchsäcke  trugen  wir selbst.  Für  Trudl  und mich  war es eine Kraftprobe,  aber  eine  Kraftprobe, die wir bestanden haben. Der Königsstein ist kein Massiv, sonder eine einzige von Norden nach Süden verlaufende steile Felswand. Auf ihm sollen die schönsten Edelweiß -Blumen wachsen. Rekordgröße: 16 cm im Durchmesser.

10.–15. September 1946

in  Bad  Baaßen  im  Karresheim.  Die  letzten  zwei  Tage  mit  Trudl,  Hohe  Warte-Bunker.  Herrliche Herbsttage – wunderbares Obst.

18. September 1946

erkrankt  Klaus plötzlich an Diphtherie  plus  Lymphdrüsenfieber und  ist  zwei Tage  sehr  schwer  krank. Er kriegt mehrere Diphterieserum- und 8 Penicillin-Injektionen.

22. September 1946

kehrt  mit wenigen anderen Volksgenossen Ing. Erich Kelp unerwartet aus Russland heim, wohin  er vor 2 Jahren zur Arbeit verschleppt worden war. Im Gottesdienst sehe ich ihn zum ersten Mal. Er ist grau, alt  und  krumm  geworden.  Von  68  Briefen,  die  ihm seine  Frau  während  dieser  Zeit  schrieb,  hat  er  3 erhalten. Seiner tapferen Frau Grete waren wir stets in inniger Freundschaft zugetan.

1. Oktober 1946

Nach einer  Dauer von mehreren Monaten,  in  denen  über  400  Gerichtssitzungen  stattgefunden  haben, ist  der  „Nürnberger  Prozess“  gegen  die  deutschen „Hauptkriegsverbrecher“  zu  Ende  gegangen.  Fast täglich  sind  wir in  dieser Zeit  am  Rundfunk dem  Gang der Verhandlungen  gefolgt.  Dabei  haben  wir schmerzlich  empfunden,  daß  das  Gericht  der  21  alliierten  Staaten  bloß  die  Vergehen  der  einen  Seite aufzudecken  bemüht  gewesen  ist,  obwohl  doch  sonnenklar  ist,  daß  Kriegsverbrechen  auf  beiden Seiten begangen worden sind. Laut  Statut  hatte das  Gericht die Schuld  der Angeklagten in  folgenden vier  Punkten  zu  untersuchen: 1.Verschwörung gegen die Weltordnung; 2.Planung und Durchführung von Angriffskriegen; 3.Kriegsverbrechen;  4.Verbrechen  gegen  die  Menschlichkeit.  Von  den  22.  Angeklagten  wurden  freigesprochen: von Papen, Schacht und Fritsche. Zu 10 Jahren Kerker verurteilt: Dönitz. Zu 15 Jahren: Neurath. Zu  20 Jahren:  Speer und Schirach.  Zu  lebenslänglichem  Kerker: Hess,  Reeder  und  Funke.  Zum  Tode durch  Erhängen:  Göring,  Ribbentrop,  Keitel,  Kaltenbrunn,  Rosenberg,  Frank, Frick,  Streicher,  Saukel, Jodl,  Bormann. Von  den  angeklagten sieben Formationen wurden  für schuldig erklärt:  Teile  des Führerskorps der NSDAP, die SS, der SD und die Gestapo.

1. Oktober 1946

Der Zufall  fügt es,  daß an den  gleichen  Tagen,  da  in  Nürnberg das  Endurteil erbracht  wird, vor  dem Klausenburger    Gerichtshof  (curtea  de  apel)  der  Prozess  gegen  zwölf  Mediascher  zur  Verhandlung kommt,  die  zur  Zeit  des  NS  hier  führend  tätig  gewesen  sein  sollen  (Römer,  Kasemiresch,  Karres Samuel  junior,  Duldner,  Schuster  Dutz,  Dr.Frank,  Weißkircher,  Haberpursch,  Dr.Groß,  Paulini,  Dr. Juchum).  Als  Zeugen  der  Anklage  wie  auch  der  Verteidigung  werden  viele  Rumänen  und  Juden vorgeladen. Sie  sagen  ausnahmslos  zu Gunsten  der  Angeklagten  aus. Am  Freitag  dem  4.Oktober  zu Mittag  wird das Urteil erbracht: alle  12 werden  freigesprochen und dazu noch  Frau Zimmermann aus Kronstadt.  Hingegen werden  in contumatiam zu  8  Jahren Kerker  verurteilt:  Prof.Sooß,  Kurt  Fromm, Walter May, Dr.Zickeli, Ing.Groß.

16. Oktober 1946

Von  den in Nürnberg  zum Tode verurteilten Hauptkriegsverbrechern werden zehn durch  einen englischen Scharfrichter in einem Raum des Nürnberger Gefängnisses gehängt. Göring ist es gelungen, sich einige  Stunden  vor  Vollstreckung  des  Urteils  zu vergiften, indem er  trotz schärfster  Bewachung eine Fiole mit  Cyankali  zwischen den  Zähnen  zerdrückte. Keinem  einzigen Gnadengesuch  war  statt gegeben  worden, nicht  einmal demjenigen Reeders,  der  gebeten hatte, die über ihn verhängte  lebenslängliche Kerkerhaft in Todesstrafe umzuwandeln.

20. Oktober 1946

Unsern  Hans  habe  ich  zu  Beginn  dieses  Schuljahres  in  das  Liceul  Sf.Vasile  in  Blaj  einschreiben lassen, damit er dort rumänisch lerne. Er besucht dort die Quarta, genauso wie sein Bruder Otto in dem gleichen Alter  die  Quarta  am  rumänischen  Gymnasium  in  Elisabethstadt  und  sein  Vater  im  gleichen  Alter  das  ungarische  Gymnasium  eben  dort  besucht  hatte.  Genauso  wie  wir,  leidet  auch  Hans  unter einem fürchterlichen Heimweh. Seine erste Postkarte, die er nach Hause schrieb lautete wie folgt:

„Blaj  den  9.  Oktober  1946.  Liebe  Eltern!  Heute  war  ich  bis  um  1  Uhr  in  der  Schule.  Es  geht  sehr schwer, denn ich hab nicht die richtigen Brüder die ich brauche. Die Pascuischen sind sehr nette Leute, auch  Freunde hab  ich  genug.  Nur  kein Heimweh sollte  ich  haben,  dann  wäre alles in Ordnung.  Aber immer  nur  die  Eltern  im  Kopfe  haben,  die  lieben  Eltern  und  nichts  anders  tun  als  weinen  das  ist schlecht. Nun seid vielmals gegrüßt von Eurem Sohn Hans.“ Schon  eine  Woche  nach  Schulbeginn  kam  er  auf  Besuch  nach  Hause,  weil  er  drei  eitrige  Wunden hatte, die zu verschmutzen drohten. In diesen Tagen veranlasste ich ihn, seinen Brüdern in der Fremde einen  Brief  zu  schreiben.  Diesen  schloss  er  mit  dem  Satz:  „Die  erste  Woche  in  Blaj  war  ziemlich schwer,  ich  meine nicht  was  Lernen  anbelangt,  in  dieser  Beziehung sind  diese  Leute  dumm,  aber  es gibt noch etwas anderes, das weiß Otti auch sehr gut. Nun schließe ich bleibe wie immer Euer Hans.“

26. Oktober 1946

Den  Bauern  auf  unseren  Dörfern  wird  von  dem  wenigen,  das  sie  besitzen,  immer  noch  genommen: Vieh, Schweine  und  Gerätschaften. In  viele Häuser werden sogenannte Kolonisten  einquartiert. Jetzt beginnt  man  sogar  die  Bienenstöcke  zu  sammeln.  Angeblich  sollen  sie  alle  nach  Klausenburg geschafft  werden:  zu  einem  Bienenkolchos!  Aber  sie  gehen  natürlich  schon  auf  der  Reise  bis  hin kaputt. Aus der russischen Zone Deutschlands finden massenhafte Deportierungen deutscher Arbeiter z.B. der Zeißwerken  in  Jena,  der  Leunawerken  und  andere  Industrien  nach  Russland  statt  –  trotz  heftigsten Protestes der Alliierten.

3. Dezember 1946

Wir stehen in regem Briefwechsel mit Otti und Paul. Deshalb mache ich hier keine Eintragungen mehr über  sie.  Ich  will  nur  so  viel  festhalten:  Otti  studiert  seit  Beginn  des  Wintersemesters  Mathematik, Physik und Chemie  an  der Technischen Hochschule  Stuttgart,  Paul  studiert Bauingineurwesen an der Technischen Hochschule Karlsruhe.

5. Dezember 1946

Es  besucht  uns ein  junger  ungarischer  Lehrer  namens   Barta  Laszlo  aus  der  Klausenburger  Gegend, der zusammen mit Otto im Winter 1945/46 in Belgien gefangen war. Er hat mit ihm sogar das gleiche Zelt geteilt. Er erzählt uns sehr ausführlich und aufschlussreich über ihr dortiges Leben. Wir haben den Eindruck, daß es unserm Otti dort verhältnismäßig sehr gut gegangen ist, zumal seit der Zeit (ab Mitte November), da er als Lehrer zum so genannten “Stab“ des Lagers gehörte.

– FORTSETZUNG FOLGT –

Ernst Haeckel über die Herkunft der Siebenbürger Sachsen.


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 -Inschrift auf einem Haus in Hammeln –

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– Relief auf einem Gebäude in Hammeln –

Und für diejenigen die nicht wissen wie die Sage lautet, im Anschluss die Sage nacherzählt von: Martina Meier für den Lesekorb.

 

– Der Rattenfänger von Hammeln –

 Vor langer Zeit herrschte in der Stadt Hameln eine fürchterliche Ratten- und Mäuseplage. Alles, was den Tieren in die Quere kam, wurde angenagt und aufgefressen.

Da waren Hamelns Bürger und allen voran der Bürgermeister sehr froh, als eines Tages ein Mann in die Stadt kam, der versprach, Hameln von dieser Plage zu befreien. Der Mann trug den Namen Bundting, weil er so bunte Kleidung trug, die jedermann sogleich ins Auge stach. Natürlich wollte der Mann seinen Dienst nicht umsonst verrichten, aber schnell war man sich über einen Geldbetrag einig. Den sollte Bundting erhalten, wenn alle Mäuse und Ratten aus der Stadt entfernt worden seien.

Und so geschah es auch. Kaum war der Vertrag zwischen dem Bürgermeister und dem Rattenfänger, so nannte sich der Mann, geschlossen, da nahm er aus seiner Jackentasche eine kleine Flöte und spielte darauf eine wunderschöne Melodie. Kaum aber hatte er den ersten Ton angeschlagen, da kamen schon aus allen Ecken und Winkeln die Ratten und Mäuse gelaufen und schlossen sich dem Rattenfänger an.

Als er nun meinte, alle Tiere eingesammelt zu haben, da zog er mit ihnen aus dem Stadttor hinaus, ging an die Ufer der Weser, die durch Hameln fließt, und zog sich seine bunten Kleider aus. Dann stieg er hinab in den Fluss – und alle Ratten und Mäuse folgten ihm und ertranken in den Fluten.

Nun kehrte der Rattenfänger zurück in die Stadt, um seinen Lohn abzuholen. Doch den wollte man dem Bundting plötzlich nicht mehr zahlen und so musste er unverrichteter Dinge abziehen.

Einige Wochen später aber kehrte der Rattenfänger zurück nach Hameln. Dieses Mal kam er im Gewand eines Jägers daher, so dass ihn die Menschen nicht sofort erkannten. Wieder zog er seine kleine Flöte aus der Jackentasche und spielte jene wunderschöne Melodie, mit der er schon die Nagetiere aus Hameln gelockt hatte. Aber was war das! Dem Jäger mit seiner Flöte folgten dieses Mal nicht Ratten und Mäuse, sondern Mädchen und Jungen.

In Scharen liefen alle Kinder mit, die älter als vier Jahre waren. Der Rattenfänger führte sie aus der Stadt hinaus, hin zu einem Berg, der Poppenberg genannt wird, wo er mit ihnen für immer verschwand, noch ehe jemand etwas davon bemerkt hatte. Nur zwei Kinder, die sich etwas verspätet hatten, konnten dem Rattenfänger entkommen. Doch das eine Kind blieb nach dem Vorfall blind, so dass es den Weg nicht mehr zeigen konnte, und das andere wurde taubstumm, so dass es nichts mehr von den Geschehnissen berichten konnte.

Nur ein Kindermädchen hatte den Auszug der Mädchen und Jungen aus der Stadt beobachtet und später allen davon berichten können. Mütter und Väter, Großeltern, Tanten und Onkel trauerten sehr um ihre verlorenen Kinder. Lange Zeit hieß in Hameln jene Straße, durch die die Kinder mit dem Rattenfänger gezogen waren, „bungelose“ Straße (stille, tonlose, trommellose Straße). Und selbst, wenn eine junge Braut an ihrem Hochzeitstage durch diese Straße zog, durfte dort niemals Musik gespielt werden.

Quelle: http://www.labbe.de/lesekorb/index.asp?themakatid=7&themaid=130&titelid=1728&titelkatid=236&move=-1

 

In der von den Brüdern Grimm erzählten Sage „Der Rattenfänger von Hameln“ – es ist übrigens die weltweit am meisten verbreitete Sage – heißt es, die vom Rattenfänger entführten Kinder seien in Siebenbürgen wieder ans Tageslicht gelangt und seien die Vorfahren der Siebenbürger Sachsen. Friedrich Müller (1828-1915),  weiß es genauer. In der Sagenvariante seiner Sammlung gibt es sogar eine Ortsangabe: Die Kinder sind – so lesen wir – aus der Almascher Höhle im Harghita – Gebiet hervorgekommen und haben das Land besiedelt.

 

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Almascher Höhle

Quelle: http://www.utazzerdelybe.hu/almasi-barlang.ro.html

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 Friedrich Müller der Ältere.

 Ölbild von Hans Hermann nach einer alten Fotografie, 1902, Presbyteriumssaal Schäßburg. Bildarchiv Konrad Klein.

Friedrich Müller, Historiker, Theologe und Sagenforscher gehört zur Generation der großen siebenbürgischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Am 15. Mai 1828 in Schäßburg geboren. 1893-1906 Sachsenbischof.  Friedrich Müller starb im 87. Lebensjahr am 25. April 1915.

 

Quelle:  Siebenbürgische Zeitung vom 25. Mai 2003

 

Beitrag zusammengestellt von: Horst Theil

Otto Folberts Tagebücher Band 44 April 1946 – Mai 1948 (Folge 2)


Otto Folberts Tagebücher

 Band 44

 April 1946 – Mai 1948

Quelle: Siebenbürgen-Institut – Online

In`s Reine geschrieben von:

Gerhard Feder im Juni 2001

Im Auftrag von: Paul J. Folberth

23. Mai 1946

In  Hermannstadt  erfahre  ich  vom  Advokaten  Manzarariu,  Str.  Gradinarilor  14,  einem  ehemaligen Regimentskameraden  Kons,  der  als  Major  der  Division  Tudor  Vladimirescu  schon  vor  mehreren Monaten  von  Rußland  heimgekehrt und  jetzt im Centrul  de Instructie in der  Kavallerie-Kaserne (Tel. 408) beschäftigt ist, folgendes:

Am  21.November  1942  um  7  Uhr  in  der  Früh  war  die  Einkesselung  des  Artillerie  Regiments  Nr.36 vollzogen und der Kampf  schon  eigentlich  aufgegeben. Das  Regiment, zu dem Kon mit seiner  Munitionskolonne  entweder  am  Abend  vorher  oder  in  der  Nacht  gestoßen  war,  setzte  sich  in  Marschkolonne  in westlicher  Richtung  nach  dem Bahnhof Tinguta  in  Bewegung, um  zu versuchen, sich der Umklammerung doch noch zu entziehen. Es dauerte aber nur wenige Augenblicke, so rollten auch aus dieser  Richtung russische Panzer der  Regimentskolonne entgegen, der  Regimentsstab ritt nach vorne, verhandelte mit ihnen und besprach die Übergabe. Die russischen Panzer fuhren die Regimentskolonne beidseits entlang und entwaffneten das Regiment, indem  sie  die  Offiziere  und  Mannschaft  aufforderten  aus  der  Kolonne  herauszutreten  und  sich  in getrennten Haufen zu sammeln. Es ging alles ohne jeden Widerstand vor sich. An einer einzigen Stelle schoss  infolge  eines  Mißverständnisses  ein  russischer  Panzer  in  die  Kolonne  und  verwundete  einen Leutnant (einen der zwei Brüder Tatoru). Die Entwaffnung dauerte ungefähr zwei Stunden. In  dem  Haufen  der  gefangenen  Offiziere  beschloss man,  die  wenigen  Volksdeutschen Offiziere  durch rumänische Namen zu tarnen, um sie vor der Erschießung durch die Russen  zu bewahren.  Es  handelte sich  um  Kon  und  Oberleutnant  Paulini,  um  Scezak  und  Zimmermann  –  die  beiden  letzteren  wahrscheinlich vom Artillerie Regiment 35. Kon habe den Namen Florea bekommen. Später erwies es sich, daß  diese  Vorsichtsmaßnahme unbegründet  war. Infolgedessen  nahmen  diese  Offiziere in den  Lagern wieder ihre deutschen Namen an. Es setzte nun der Marsch ins russische Hinterland ein. Die unendlich langen Gefangenenzüge –  Major Manzarariu meint, daß beim Debacle im Donbogen ca.300.000 Mann in Gefangenschaft geraten seien – nehmen zunächst Richtung auf Astrachan, am rechten Ufer der Wolga entlang. In den ersten 6 Tagen und  6  Nächten  wurde  ohne  Unterbrechung  d.h.  ohne  Schlafrast  marschiert.  In  der  Kalmückensteppe gebe es ja  auch keine oder fast keine Ortschaften, so daß sie mit dem besten Willen nicht von  Obdach

zu  Obdach  hätten  geführt  werden  können.  Auch  ist  klar,  daß  russischerseits  für  die  Verpflegung solcher  Gefangenenmassen  keinerlei  Vorbereitung  hat  getroffen  werden  können.  Nach  Verlauf  von zwei  Wochen  wurden  die  Gefangenen  –  noch  bevor  Astrachan  erreicht  worden  war  –  auf  das  linke Ufer  der  Wolga  hinübergesetzt.  (Ich  weiß  nicht:  über  eine  Brücke,  auf  Fähren,  über  das  Eis  des vielleicht zugefrorenen  Flusses oder sonstwie). Und  am linken Ufer marschierten sie  dann wieder  die Wolga hinauf und erreichten nach Verlauf weiterer zwei Wochen die Höhe von Stalingrad. Dieser Teil der Kaspischen Steppe war vielleicht noch unwirtlicher als die Kalmückensteppe. Außerdem hatten sie jetzt dauernd den Nordwind gegen sich. Die Temperatur sank von Woche zu Woche und mochte gelegentlich  -40°  erreichen.  Die   Ausfälle  mehrten  sich.  Wer  zusammenbrach  und  zurückblieb,  war  in kurzem erfroren. Ungefähr nach 4-wöchigem Marsch durch diese Schnee und Eiswüste, bei kümmerlichster Ernährung, begannen die Kr fte Kons nachzulassen. Er aß sehr viel Schnee, vielleicht deshalb, weil er Fieber hatte und unter großem Durst litt.  Eines Tages,  es sei gegen  4  Uhr nachmittags  gewesen,  merkte  Manzarariu, daß Kon aus der Marschkolonne nach rechts hinaus wankte und sich in den Schnee legte. Mehrere Kameraden umstanden ihn eine Weile, setzten aber, als sie merkten, daß er wahrscheinlich nicht mehr werde weiter gehen  können, ihren Marsch fort. Nur Manzarariu setzte sich zu ihm hin und sprach ihm Mut zu. Er meint, in besonders herzlichen Verhältnis zu Kon gestanden zu haben. Kon  habe  ihn auch wiederholt  gebeten:  Nu  ma  las!  Nu  ma  las!  Doch  Kon  habe  nicht  mehr  die  Kraft  gehabt,  sich  zu erheben. Nach einer  Stunde  sei er  erfroren gewesen.  Als Manzarariu  ihn verließ,  um seinen Kameraden nachzueilen, war er schon halb vom Schnee verweht. Die  Stelle  wo  er  liege,  sei  nach  seiner  Schätzung  ungefähr  100  km  von  Stalingrad  in  nordöstlicher Richtung  entfernt.  Weit  und  breit  war  keine  Ortschaft. Den  Tag  kann  Manzarariu  nur  auf  die  Weise bestimmen, daß er von ihrem Eintreffen in Cop-iar, einer größeren Raststelle, am 21.Dezember zurück rechnet. Er sagt, es könne der 18., 19. oder 20. Dezember gewesen sein. – Kon trug seinen Pelz. So  wie  er,  seien auf  diesem Marsch ungefähr  die  Hälfte  der  Gefangenen zusammengebrochen  liegen geblieben.  In  erster  Linie die  Alten  und  die  ganz Jungen.  Am  besten  hielten sich  die  Jahrgänge  zwischen  25  und  35.  Kon  sei  einer  der Ältesten  in  der  Kolonne  gewesen.  Regimentskommandant  Jurca war vielleicht  auch  so alt  oder  noch älter, besaß  aber einen besonders  sportgestählten  Körper  und  hat die Strapazen überstanden.

Der Fußmarsch der Gefangenen dauerte noch Wochen an  und führte bis Saratow. Erst dort wurden sie einwaggoniert. Auch während  der Eisenbahnfahrt  sind noch viele  erfroren, denn  es herrschte  grimmige Kälte. Das Schicksal der  Gefangenen wendete sich zum Besseren erst in den Lagern.  Dort wurden sie gut untergebracht,  gut verpflegt  und  menschlich  behandelt.  Es sei  anzunehmen,  daß  sie  bald alle zurückkehren würden. Manzarariu  nennt  als  weitere  Augenzeugen  von  Kons  Tod  den  Hauptmann  Macavei,  Hermannstadt, Strada  Noua  1,  und  den  Hauptmann  Sandru  Constantin  vom  1.Artillerie  Regiment  der  Tudor-Vladimirescu-Division. Ich habe aber  diesmal keine Zeit, auch sie aufzusuchen,  da ich Manzarariu sowieso erst zu Mittag ausfindig machen konnte und mein Zug am frühen Nachmittag bereits abfahrt.

Merkwürdig  ist, daß Manzarariu sich nicht sehr viel Mühe gegeben hat,  uns diese Nachricht von sich aus zukommen zu lassen, umso mehr, als auch seine Frau genau wusste, wie sehr Mela auf  Nachrichten aus  Russland  wartete.  Er  hat  sie  aber  auch  nicht  verschwiegen.  So  hat  er  beispielsweise  schon  im November  vorigen  Jahres  Herrn  Paulini  in  Hermannstadt  (dem  Vater  von  Kons  Frontkameraden Paulini aus  Bukarest)  erzählt,  daß  Kon tot  sei. Herr Paulini hat mir  nach  Mediasch auch  sagen lassen, ich  solle  hinüber  kommen,  es  sei  Nachricht  von  Kon  da.  Aber  dieser  betreffende  (Herr  Schmidt  aus der Neugasse, genannt Tschudoi) hat mir diesen Auftrag einfach nicht überbracht. Oberleutnant Paulini, der den Wolgamarsch überstanden hat und vermutlich auch jetzt noch am Leben in russischer Kriegsgefangenschaft ist, soll übrigens den Ehering Kons bei sich haben. Es ist mir nicht ganz klar,  wie  er  in  seine Hände geraten ist. Vielleicht kann man später,  wenn er einmal  heimgekehrt ist, noch weiter Einzelheiten über Kons letzte Stunden erfahren.

24. Mai 1946

Mit diesem furchtbaren Wissen bebürdet trete ich vor meine 78 jährige Mutter, der Mela bis zu meiner Rückkehr  aus  Hermannstadt  auf meine  Bitte  die  Wahrheit verschwiegen  hat. Jetzt  hat  es  keinen Sinn mehr, sie ihr vorzuenthalten. Mutter ist ein tapferer Mensch. Es versetzt ihr einen Stich ins Herz, denn sie  hat  in  den letzten Jahren nur  noch  dieser  Hoffnung  auf ein Wiedersehen  mit  Kon gelebt, aber  sie versucht  ihren  großen Kummer  mit Gefasstheit zu tragen. Nun  hat  sie  von  fünf Kindern  nur noch ein einziges, nur noch mich behalten.

Sonntag, den 26. Mai 1946

findet in der evangelischen Stadtpfarrkirche  in Mediasch im Rahmen des Gottesdienstes, wie das jetzt bei  uns  der Brauch  ist,  die  Trauerfeier  für  Kon  statt,  indem  Stadtpfarrer  Dr.Gustav  Göckler  im  Anschluß  an  die  Predigt  einen  kurzen  Nachruf  auf  Kon  hält.  Unsere  noch  immer  zahlreiche  Familie nimmt  geschlossen  daran  teil,  die  Trauer  über  Kons  Hinscheiden  ist  aber  in  d er  ganzen  Stadt  eine allgemeine  und  aufrichtige.  .  Wieder  erweist  es  sich,  wie  viele  gute  Kameraden  er  besaß  und  wie beliebt  er  in  weiten  Kreisen  der  Bevölkerung  war.  Von  ihm  gilt  das  Wort:  er  hatte  überhaupt  keine Feinde.

Nach der Trauerfeier begaben wir uns – die engere Familie mit Mutter – auf den Friedhof, um an dem Grabe  Vaters  in  Gedanken  am  großen  Kummer  um  Kon  zu  weilen.  Es  ist  ein  herrlicher  Frühjahrs- Vormittag. Die Natur prangt in ihrem  schönsten Schmuck. In den hohen alten Bäumen zwitschern und jubilieren unzählige Vogelstimmen. Und zufällig trifft es sich, daß sich heute zum 30. Male der Todestag meines Bruders Kurti jährt, der unter dem Rasen nahe neben Vater schläft.

Am  Spätnachmittag  kommen  zu uns  zur Jause  außer  Mutter  und  meiner  Schwägerin  Mela mit  ihren zwei  großen  Buben auch  Gustonkel und  Annatante,  die immer große  Anhänglichkeit  an Kon  gezeigt haben.  Wir sitzen in der Veranda im Garten, Trudl wartet  Kaffee  und  Nussstrudel auf. Ich hole  meine Tagebücher aus dem Jahre 1943 und lese die Zahlreichen Eintragungen über Kon vor. Daraus entsteht ein lebendiges  Bild  jenes  verhängnisvollen  20.November 1942, da er  aus  übertriebenen  Pflichtgefühl, trotz mehrfacher  Warnungen durch  verschiedene Kameraden, seine letzte Fahrt mit  seiner Munitions-Kolonne  zum  Regiment  gemacht  hatte  und  mit  diesem  zusammen  in  dem  Kessel  südlich  Stalingrad umzingelt worden war. Diese  Aufzeichnungen  hatte  ich  seinerzeit  mit  der  Absicht  zu  Papier  gebracht,  sie  mit  Bruder  Kon durchzusprechen, wenn er einmal nach Hause zurückgekehrt sei und von ihm zu hören, was davon der Wahrheit  entsprochen habe. Nun  ist  der arme  gute  Kerl  für immer von uns  gegangen  und  sie bleiben die letzten Erinnerungen an ihn.

30. Mai 1946

Ich  kann  und  kann  mich nicht  an  den  Gedanken  gewöhnen, daß  Kon  tot  sei, so fest  habe ich  stets  an seine  Heimkehr  geglaubt.  Ich  versuchte, diesen Glauben stets  auch  Mutter  und  Mela  zu  suggerieren, was  mir  im ersten Fall  auch restlos  gelungen  war. Auch  Mutter kann jetzt  gar  nicht fassen,  daß  Kon

nicht  mehr  heimkehren  soll.  Ich  verliere  in  Kon  meinen  einzigen,  meinen  letzten  Bruder.  Das  Wort einzig passt für ihn auch in anderer Beziehung, denn er war ein ungewöhnlich guter, ein ungewöhnlich anständiger  Mensch.  Seine  Anständigkeit  nahm  im  militärischen  Leben  die  Form  übertriebenen Pflichtgefühles an: diesem ist er  am 20.November  1942 südlich von  Stalingrad schließlich zum Opfer gefallen. Kon hatte ein  besseres  Herz als  ich, er war opferbereiter,  kameradschaftlicher, in mancher Beziehung treuer,  er  war  gemütvoller,  humorvoller,  sesshafter.  Andererseits  war  er,  trotz  seines  um  vier  Jahre jüngeren Alters, nicht so elastisch, nicht so beweglich, nicht so leichten Entschlusses wie ich. Er besaß den  schwächeren Willen  von  uns beiden,  die  schwächere  Kraft,  sich  zu  beherrschen  und  den  schwächeren  Ehrgeiz,  an  sich  zu  arbeiten.  Seine  Ziele  lagen  immer  näher  als  die  meinen  und  wenn  wir zusammen  eine  Reise  oder  einen  Ausflug  machten,  so  fügte  er  sich  immer  ganz  meinem  Plan  oder meinem Vorschlag. So  lange  wir  zusammen  im  Elternhaus lebten,  haben  wir  uns  nicht  gut  miteinander  vertragen.  Mein Lieblingsbruder  war  damals Kurti. Als  uns  aber nach Jahren  langer  Trennung unsere Wege  am  Ende des  ersten  Weltkrieges  wieder  zusammenführten,  entstand  sehr  bald  ein  inniges,  ja  ausgesprochen herzliches Verhältnis  zwischen uns,  das  seither  auch  kein einziges  Mal  getrübt worden  ist. Ich  weilte sehr gerne in seiner Gesellschaft, die Familienabende bei Mutter, denen er durch seine Gemütlichkeit, durch  seinen  Humor,  seine gewöhnlich sehr  gute  Laune oft seinen  Stempel  aufdrückte,  sind  mir  eine teure Erinnerung. Sein volles, ungehemmtes Lachen klingt mir noch jetzt in den Ohren .

– FORTSETZUNG FOLGT –