Otto Folberts Tagebücher
Band 44
April 1946 – Mai 1948
Quelle: Siebenbürgen-Institut – Online
In`s Reine geschrieben von:
Gerhard Feder im Juni 2001
Im Auftrag von: Paul J. Folberth
Unsere Marschstrapazen steigerten sich in der Folge durch die jetzt eintretende große Kälte und durch die grausigen Schneestürme fast bis zur Unerträglichkeit. Kon hatte sie niemals ausgehalten. Endlich am 30. Dezember 1942 trafen wir in Kamischin ein, wo wir nächsten Tag in einen Eisenbahnzug verladen wurden. Damit begann eine neue Art von Qualen für uns. Da unsere Begleitmannschaft den größten Teil der uns zugedachten Verpflegung gleich zu Beginn der Bahnfahrt verkauft hatte und es sich mit dem Erlös in ihrem Waggon bei Schnaps und Weibern gut gehen ließ, hungerten und froren sich viele von uns zu Tode während der 19-tägigen Reise. Uns mangelte es an Wasser, an Holz, überhaupt. Die grimmige Kälte hielt an. Ich hatte meinen Platz auf der zweiten Pritschenetage in unmittelbarer N he eines Fensterchens. Der Platz hatte den Vorteil, daß ich, meinen brennenden Durst zu löschen, das Eis lecken konnte, das sich infolge der Ausdünstungen der zusammen gepferchten Körper im Wagen-innern an die eisernen Gitterstangen des Fensterchens niederschlug. Ich bin alles weniger als ein sentimentaler Mensch und habe bis dahin kaum je in meinem Leben geweint. Damals aber weinte ich jede Nacht auf meiner Pritsche vor Kälte, vor Hunger, vor Schmerz. Auf dieser Reise starben von meinen Offizierskameraden 36, weitere 12 starben unmittelbar darauf im Lager, also insgesamt 48 innerhalb einer kurzen Zeit von 161. Ich selbst kam im Lager mit einem Körpergewicht von 49 kg an. Dass es mir dann bald darauf besser ging, verdanke ich einem Missverständnis. Eines Tages nämlich suchte man unter uns einen gewissen Major Paulian, um ihn als Hilfsarbeiter in die Küche zu stecken. Da er kurz zuvor gestorben war, konnte ich mich mit meinem ähnlich klingenden Namen, als solchen ausgeben und kam auf diese Weise auf einen Posten, der mir eine bessere Verpflegung ermöglichte. Als Sohn eines Restaurant Besitzers verstand ich über dies etwas vom Kochen, so daß ich auf Grund dieser Kenntnisse allmählich sogar zum Küchenchef aufstieg. Auch der Umstand, daß ich fünf Sprachen beherrsche, mag seinen Teil dazu beigetragen haben. Kurzum, es ist mir dann später recht gut gegangen, umso mehr, als sich ab 6. Mai 1943 mit einem Schlage die Ernährungslage im Lager besserte. Es gab plötzlich Weißbrot, Butter, Milch usw. und wir haben in der Folge nicht mehr darben müssen.“
21. Januar 1947
Mela war auch in Hermannstadt, um mit Herrn Paulini zu sprechen. Das ist ihr nicht gelungen, da er bereits nach Bukarest verreist war. Dafür hat sie auf der Heimfahrt im Autobus zufällig einen rumänischen Herrn kennen gelernt, der sich im Gespräch ebenfalls als Kriegskamerad Kons entpuppte und der ihr gegenüber behauptet hat, er sei Zeuge der letzten Stunden Kons in dem einsamen Steppen gewesen. Es sei richtig, daß Kon den russischen Posten tätlich angegangen habe, aber falsch, daß er durch Kolbenschläge niedergemacht worden sei. Vielmehr habe der Russe Kon durch eine Kugel
niedergestreckt. Leider hat Mela den Namen dieses Herr nicht feststellen können, so daß wir wahrscheinlich nicht mehr ins Gespräch mit ihm kommen werden.
Kons Tod ist uns also nun durch drei verschiedene Schilderungen überliefert: Die Schilderung Manzarars – erfroren, die Schilderung Paulinis – erschlagen, die Schilderung dieses Dritten – erschossen. Die Verschiedenheit der Darstellung findet meiner Meinung nach vor allem im damaligen Geisteszustand der Gefangenen, deren Bewusstsein infolge der großen Erschöpfung ganz sicher getrübt war. Es kommt dazu die Ungenauigkeit der Berichterstattung über so weite Zeiträume hinweg. Schließlich sind seit Kons Tod mehr als vier Jahre vergangen. Wie dem aber auch immer sei und wie immer die letzten Augenblicke Kons zu Ende gegangen sein mögen – eines steht seit Paulinis Heimkehr unumstößlich fest: daß wir ihn nicht mehr sehen werden. Mutter hatte in ihrer großen Liebe zu Kon ihre letzte Hoffnung – trotz Manzarar – noch nicht aufgegeben. Sie übertrug Ihre Hoffnung in den letzten Monaten mehr und mehr auch auf mich. Dem hat Paulini ein Ende gesetzt und wir müssen uns – so bitter es uns fällt – darin schicken, daß er nicht einer der Begabtesten, nicht einer der Tatkräftigsten, aber wohl einer der treuesten und anständigsten Menschen, nicht mehr zu uns zurückkehren wird, einer der ein edles Herz und ein tiefes Gemüt in sich trug, der beste Kamerad seiner Freunde – mein Bruder Kon.
1. Februar 1947
Nach den Erfahrungen des letzten Menschenalters mit den zwei letzten Weltkriegen scheint der Sinn der Weltgeschichte kein anderer zu sein, als hoch entwickelte Kulturvölker durch furchtbare Kriegs und Notzeiten immer wieder auf das Niveau roher, ungebildeter, primitiver Völker herunter zu drücken. Die Natur scheint die Primitivität zu wollen und zu bejahen, nicht den Aufstieg der Menschheit. Der Weg der Geschichte bestünde diesem nach in einem ewigen Auf und Ab, hervorgerufen durch die Kraftanstrengung der Völker, sich über die Naturgegebene und gewollte Primitivität zu erheben einerseits, und durch das schicksalhafte Zurückgestoßenwerden in den rohen Urzustand andererseits. Je höher ein Volk steigt, um so tiefer muss es fallen. Völker, die dauernd auf einer niedrigen Stufe der Kultur dahinleben, sind daher auch am wenigsten solchen Erschütterungen
ausgesetzt. Im Zusammenhang hiermit scheint auch zu stehen, daß die Natur die Herrschaft der Dummen durch aus begünstigt. Auch dadurch nämlich versucht sie ihr Ziel zu erreichen, daß die Bäume der Menschheit nicht in den Himmel wachsen. Wenn ich bedenke, was für Hornochsen haben doch im national-sozialistischen Regime führende Stellen innegehabt! Und wie sehr herrscht heute über große Teile der Welt das unter Menschentum!
1 Februar 1947,
am 44.Geburtstage Trudels Gustav Frenssen in seinen Grübeleien: ,,Die keuschesten und scheuesten Mädchen sind zugleich die feurigsten, und also in jeder Beziehung, in Arbeit und Liebe (zu Mann und Kindern) die besten, die wertvollsten Menschen. Ihre Keuschheit und Scheuheit ist nichts weiter als der Schutz, den die Natur und sie selbst sich unbewusst geben, damit ihr heißes Blut sich nicht so leicht hingibt, wie es gewillt ist und möchte, und so zu Schaden kommt. Die Lauten und Sicheren, die man zuweilen trifft, die offenherzig und ohne Scheu von Liebe und Feuer reden und es nicht fürchten, besitzen es auch nicht, und sind als Menschen, Frauen und Mütter weniger wert.
Am 10. Februar 1947
werden endlich die Friedensverträge mit den ehemaligen ,,Satellitenstaaten“ Deutschlands – Italien, Ungarn, Rumänien, Bugarien und Finnland – in Paris unterzeichnet. Sie sind das Ergebnis unzähliger Kompromisslösungen zwischen den anglo-amerikanischen Staaten (England und U.S.A.) auf der einen, und Sowjetrussland auf der andern Seite. Die Welt war Monate lang Zeuge eines schweren politischen Ringens zwischen Ost und West und mehr als einmal drohten die Verhandlungen zu scheitern. Die Regierungen der Satellitenstaaten hatten wohl auch einmal Gelegenheit, zu den Friedensentwürfen Stellung zu nehmen, im Grunde genommen stellen die Verträge aber Diktate dar. Der Vertrag mit Rumänien enthält harte Demütigungen für das Land. Ein rumänisches Heer gibt es so gut wie nicht mehr. Die Wiedergutmachungssumme, die das Land an Russland zu zahlen hat (in Waren), beläuft sich auf 300 Millionen Dollar. Die Tilgungsfrist beträgt 8 Jahre. Wirtschaftler erklären, dass eine völlige Verarmung Rumäniens die sichere Folge sein werde. Rumänien erhält wohl Nordsiebenbürgen zurück, verliert aber dafür Bessarabien und die Bukowina. 90 Tage nach Ratifizierung des Vertrages soll das Gros der russischen Besatzung abgezogen sein. Es bleiben zurück bloß die Truppen, die notwendig sind, um die Verbindungslinien mit den russischen Besatzungstruppen in Österreich aufrecht zu erhalten. Aber die allen Minderheiten zustehenden Rechte enthält der Vertrag einen wunderbaren Artikel. Da wir Volksdeutsche darin nicht besonders erwähnt sind, müsste er auch für uns gelten. Wir fürchten aber sehr, dass zwischen Theorie und Praxis eine sehr große Kluft bestehen bleiben wird und haben wenig Vertrauen zu den schönen Worten.
12. Februar 1947
Eine gewisse Verbesserung unserer Lage ist seit einiger auf dem Gebiet der Kirche und Schule zu verzeichnen. Der Zustand von 1940 ist hier wieder hergestellt worden d.h. unsere Kirche ist als Schule erhaltende Behörde und unsere Schule als konfessionelle Schule wieder anerkannt worden. Unsere
Schulen haben ihr Öffenlichkeitsrecht wieder zurück erlangt. Die Schuljahre 1944/45 und 1945/46 mit ihren Prüfungen sind anerkannt worden. Auch ist ein Ministerialerlass erschienen, nach dem Schulgebäude in der Zukunft nur noch Schul- zwecken dienen dürfen. In vielen sächsischen Schulgebäuden sitzen freilich fremde Schulen drinnen und werden sie nicht so schnell räumen. Als Erleichterung unserer Lage ist auch anzuführen, daß die Evakuierungen auf unsern Dörfern d.h. der Häusertausch zwischen Sachsen und Zigeunern bzw. Sachsen und Rumänen eingestellt worden sind. Evakuierungen, die nach dem 1.Januar 1947 durchgeführt worden sind (z.B. in Scharosch bei Elisabethstadt), sollen rückgängig gemacht werden. Nichtsdestotrotz macht das Absinken der Staatswirtschaft im allgemeinen und die sächsische Volkswirtschaft im besonderen rapide Fortschritte. Die Lawine der Inflation rollt unaufhaltsam über uns hinweg. Die Fixangestellten nagen bereits am Hungertuch. Mein Professorengehalt beispielsweise macht jetzt nur noch einen kleinen Bruchteil dessen aus, was wir zu unserem Lebensunterhalt brauchen.
Am 7. Februar 1947
jährte sich der Tag, da wir nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges die erste Nachricht von unserem Otti in Form einer Karte erhielten. Von Paul hatten wir auf Umwegen über andere bereits erfahren, daß er wahrscheinlich noch am Leben sei. Von ihm traf die erste schriftliche Nachricht im April ein. Seither stehen wir in regem Briefwechsel mit den Jungen. Ich allein habe ihnen während dieser Zeit 52 an beide gemeinsam gerichtete nummerierte Briefe geschrieben, dazu noch einige jedem besonders. Auch Trudl schreibt ihnen fast jede Woche. Von den Zweien ist Paul der fleißigere d.h. der ausführlichere Briefschreiber. Er unterrichtet uns über alle Vorkommnisse seines Lebens. Sein letzter Brief trägt die Nummer 49. Aber auch von Otti haben wir fast so viele, wenn auch kürzer gehaltene Schreiben erhalten. Die Laufzeit der Briefe beträgt 2-4 Wochen. Es gingen so gut wie keine bis jetzt verloren.
Am 15. Februar 1947
d.h. nach Abschluss des ersten Semesters dieses Schuljahres 46/47 lassen wir Hans aus Blaj wieder nach Hause kommen, obwohl es ihm dort in jeder Beziehung – mit Ausnahme des gelegentlichen Heimwehes – sehr gut gegangen ist. Aber es können im Laufe dieses Frühjahres Umstände eintreten, die seine Anwesenheit hier angezeigt erscheinen lassen.
20. Februar 1947
Der Winter will nicht weichen. Immer noch bedeckt Schnee die Erde, wenn auch alter, schmutziger, nasser Schnee. In Mitteleuropa ist es merkwürdigerweise viel kälter als hier. Deutschland, das hungernde, frierende Deutschland wird jetzt schon von einer 4. Kältewelle heimgesucht. Die Temperaturen fallen in der Nacht bis auf 15 und 18 Grad minus und steigen bei Tage bloß auf –3 oder –5. Die Kälte fordert unzählige Opfer. Selbst England ist von Schnee und Eis bedeckt. Infolge großer Kohlenknappheit sind auch dort viele Industriebetriebe stillgelegt worden. Stromabschaltungen sind an der Tagesordnung. Die Straßen bleiben in der Nacht verdunkelt wie im Krieg.
10. März 1947
Beginn der Konferenz der vier Außenminister von Nordamerika, England, Frankreich und Russland in Moskau, auf der ein Staatsvertrag für sterreich und Vorarbeiten für einen Friedensvertrag mit Deutschland zur Verhandlung gelangen. Marshall, Bevin, Bidault und Molotow sitzen am Verhandlungstisch und die ganze Welt horcht gespannt auf ihre Gespräche, denn es geht offenbar mehr als um die Zukunft Deutschlands und Österreichs, es geht um die Frage ob wir einen Dritten Weltkrieg erleben sollen oder nicht.
11. März 1947.
Binder Willy wird verhaftet und nach Bukarest geschafft.
12. März 1947
Präsident Truman h lt vor dem amerikanischen Kongress eine Rede, in der er Griechenland und der Türkei wirksame Hilfe zusagt.
Ende März 1947
Die nach dem langen, kalten, sowie Niederschlag reichen Winter eingetretene Schneeschmelze hat in Nordwest- und Nordosteuropa große Überschwemmungen hervorgerufen, besonders in England und in Norddeutschland. Hier mussten zahlreiche Landstriche von der Bevölkerung geräumt werden, so z.B. im Oderbruch. In Deutschland reiht sich eine Katastrophe an die andere: Der militärische Zusammenbruch, die Besatzung, die Zerstückelung des Landes in vier Zonen, der Hunger, der ganz ungewohnt strenge Winter, jetzt die Überschwemmungen. Kein Wunder, daß nun, zumal im dicht bevölkerten Ruhr-Rhein Gebiet Hungerrevolten und große Arbeiterdemonstrationen an der Tagesordnung sind.
30. März 1947
Auf unseren Dörfern sind die 44-er, soweit sie im Laufe der letzten Zeit einzeln heimgekehrt sind, zusammengetrieben und ins berüchtigte Lager nach Großwardein geschafft worden.
25. April 1947
Die Konferenz der vier Außenminister von Amerika, England, Frankreich und Russland, die am 10. März in Moskau begann und den Friedensschluss mit Deutschland und sterreich vorbereiten sollte, ist ergebnislos zu Ende gegangen und auf eine Zusammenkunft der vier Mächte verschoben worden, die im November dieses Jahres in London tagen soll. Weiteres namenloses Elend vieler, vieler Millionen von Menschen wird die Folge sein. Oder gar ein neuer Krieg?
27. April 1947
Letzte Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum. Aus weiter ebener Landschaft nahte sich mir ein wild galoppierendes Pferd. Als ich näher hinsehe, bemerke ich, daß sowohl Mähne wie Schweif des edlen Tieres in Flammen stehen und daß es offenbar aus Angst vor diesen Flammen, die sich näher und näher an Kopf und Körper heran fressen, in rasende Flucht gestürzt hat. Bei dem herrschenden Tageslicht sind die Flammenfahnen eigentlich kaum zu sehen, aber das Tier kommt mir so nahe, daß ich sie deutlich prasseln höre und das entsetzte Auge des gehetzten Pferdes beobachten kann. Ich selbst stehe auf einer Art Steinterrasse, die, wie sich später herausstellte, zu einem Gebäude gehört ähnlich unserer St.L.Roth–Schule. Um diese Terrasse und dieses Gebäude jagt das brennende Pferd in kurzen und weiteren Abständen mehrmals im Kreise herum. Schließlich erwache ich.
5. Mai 1947
Die St.L.Roth–Schule wird gesetzwidrig durch gewaltsames Eindringen von einer Gewerbelehrlings Schule besetzt, die nun hinfort in den Abendstunden in unserem Gebäude Unterricht halten wird. Der Besetzung sind wochenlange Verhandlungen vorausgegangen, deren Ergebnis noch nicht feststand, in denen die Bukarester Behörden aber klar Stellung für uns, die lokalen Behörden gegen uns bezogen.
11. Mai 1947
Helmi trifft von seiner Erkundungsreise nach Westeuropa und Südamerika (Brasilien)ein und berichtet der Familie. Dr. Otmar Richter und Frau Gisela sind für drei Tage unsere G ste. Otmar h lt im Kreise unserer Lagerkameraden und deren Frauen einen Vortrag über „Holland im 17. Jahrhundert“. Gestern machten wir mit ihnen und Freunden einen Ausflug nach Baaßen. Wir hatten herrliches Wetter und tranken im Kelterschopfen der Familie Karres einen herrlichen Tropfen.
20. Mai 1947
Von unseren Russland verschleppten treffen erschütternde Nachrichten ein. Es sind wieder mehrere Rücktransporte statt nach Rumänien nach Deutschland geleitet worden. Es stellt sich heraus, daß die Bedauernswerten in einem körperlich so heruntergekommenen Zustand auf die Reise geschickt werden, daß bereits während derselben ein beträchtlicher Hundertsatz zugrunde geht. Aus Mediasch beispielsweise Schneider Karl, ein jüngerer Bruder unseres Kränzchen Freundes Schneider Hans. Andere erreichen Deutschland so geschwächt, daß sie nicht einmal mehr die Kraft aufbringen, an ihre Angehörigen Briefe zu schreiben. Heute nun treffen in Mediasch mehrere Karten aus dem Umsiedlungslager Neuwiese bei Heuerswerda in der russischen Zone von solchen Heimkehrern ein, denen man nach mehr als zweijähriger Arbeitszeit, in Rumänien die Heimkehr verwehrt, indem man sie nach Deutschland geschickt hat. Sie enthalten u.a. die traurige Kunde, daß eine ganze Anzahl bereits in den Lagern gestorben sind. Von unseren Bekannten: Henter Butz, Herr Alesi von „Westen“, Herr Meszaros Fa. Oberth, Frl. Dietrich u.a. Die Nachricht vom Tode des Henter Butz erhält seine Frau gleichzeitig mit einem Brief von ihm, den er vor einem halben Jahr schrieb. Ich weiß nicht, ob es nicht überhaupt der einzige war, der sie erreicht hat. Denn so schlecht ist die Postverbindung zwischen den Deportierten und ihren Angehörigen. Frau Ady Henter hat natürlich auch, wie alle Familien, rumänische Einquartierung. Ein junger rumänischer Arzt wohnt Tür an Tür mit ihr unter einem Dach. Er soll ein rücksichtsloser Patron sein, der laute Gastereien im Zimmer nebenan veranstaltet, das Radio nächtelang spielen lässt, und a uch in der Nacht, nachdem die Todesnachricht von Butz eingetroffen war, bis 4 Uhr in der Früh in ungeniertester Weise Damenbesuch empfangen hatte. Sehr bezeichnende Zustände für die heutige Zeit.
8. Juni 1947
Alles in der Natur scheint gegen den Krieg zu sprechen: die Verschiedenheiten der Rassen, der Individuen, der Begabungen, der Temperamente und – die verschiedene Verteilung des Glücks auf die Menschen. Und alle diese von der Natur gewollten Verschiedenheiten versucht man sich durch gleichmäßige Besitzverteilung auszulöschen!
9. Juni 1947
Im Mon. Of. Nr. 121 vom 30. Mai 1947 ist ein Gesetz erschienen, durch das allen Personen, die seit dem Jahr 1940 im Ausland weilen bzw. in einer militärischen oder paramilitärischen Formation gegen die Alliierten gekämpft haben, das rumänische Staatsbürgerrecht aberkannt wird. Genau gesagt, das Gesetz nimmt an, daß sie auf Grund ihrer Haltung auf das Staatsbürgerrecht selbst Verzicht geleistet haben.
21. Juni 1947
Schlussfeier des Schuljahres 1946/47 an der Stephan-Ludwig-Roth-Schule. Sollte es mein letztes Schuljahr gewesen sein? Wenn ja, bin ich 24 Jahre im Schuldienst gestanden. In diesem letzten Jahre war ich Klassenlehrer der Oktava, zu deren Schülern auch mein dritter Sohn Klaus gehörte. Es war
eine besonders gute Klasse. Von 16 Schülern fiel keiner durch, 8 bestanden die Klasse mit einer Jahresdurchschnittsnote von über 8, also mit Vorzug. Als bester ging Klaus mit der Durchschnittsnote 8,71 durchs Ziel. Unerklärlicher Weise verschweigt Rektor Draser in seinem Jahresbericht dieses seltene Vorkommnis und verabschiedet die scheidenden Schüler auch gar nicht.
27. Juni 1947. Kollegenabend bei mir.
29. Juni 1947. Peter und Paulstag im Kothen.
Auf den 30. Juni 1947
ist der Beginn des diesjährigen Bakkalaureates angesetzt. Werden unsere Schüler vor einer deutschen Bakk. Kommission die Prüfung ablegen können oder nicht? war die Frage, die uns seit Beginn des Schuljahres beschäftigte. Unterrichtsminister Voitec hatte im Frühjahr das „deutsche Bakk“ Schulrat Rösler versprochen. Aber Zweifel daran tauchten immer wieder auf. Trotzdem erfolgte die Vorbereitung der Kandidaten auf das „deutsche“ Bakk hin. Als die Frage bis zum letzten Tag ungeklärt bleibt, entschließe ich mich, zugleich mit Kollegen Duldner, unsere Söhne vor einer staatlichen Kommission prüfen zu lassen, um der Gefahr aus dem Wege zu gehen, daß sie überhaupt ohne Prüfung bleiben. Wir fahren nach Dumbraveni, allerhand Risiko auf uns nehmend. Das Wagnis gelingt glänzend. Klaus besteht mit 8,10, Duldner Julius (der 2 Jahre in Russland war) mit 7,50. Nachher erfahren wir, daß es zur deutschen Kommission gar nicht kommt, sondern daß alle sächsischen Jungen von einer Staatskommission (in Hermannstadt) geprüft werden.
Anfang Juli 1947
Der amerikanische Außenminister Marshall tritt mit einem Plan vor die Öffentlichkeit, den Auf- und Ausbau der zerstörten Weltwirtschaft mit amerikanischer Finanzhilfe in Angriff zunehmen. Alle Staaten der Welt werden eingeladen, daran teilzunehmen. England (Außenminister Bevin) und Frankreich (Außenminister Bidault) sagen sofort zu und laden Russland (Molotov) zu einer ersten Vorbesprechung nach Paris ein. Durch Russlands kategorisches Nein, das Molotov in Paris spricht, durchzuckt die Welt eine neue Bangigkeit. Aber die Westmächte lassen sich nicht einschüchtern und entschließen sich dazu, den Marshallplan durchzuführen auch ohne Russland und die von ihm abh ngige Mächtegruppe: Polen, Finnland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Tschechoslowakei. Die große Gefahr, daß die Welt nun noch klarer in zwei Teile zerfallen wird.
5. Juli 1947
schließe ich in Anwesenheit von Mela mit der kommunistischen Parteileitung (Pologea u. Herskovits) eine mündliche Konvention, nach der a) Pol. Kommissar Poras von mir zu Mela übersiedelt, b) zu uns übersiedelt meine Mutter, c) das ganze Haus Marktplatz 17 wird der K Partei eingeräumt, d) wenn wir weg ziehen, übersiedelt auch Mela zu uns, Rothgasse 17, wo der Rest der Familie dann ungeschoren bleiben soll, e) das Haus Grafengasse 10 wird ebenfalls der Partei eingeräumt und dieser das Verkaufsrecht auf dieses Haus zugesichert.
12. Juli 1947
Herr Negrea zieht aus unserm Gastzimmer aus, ohne uns die Schlüssel zu übergeben. Das Rätsel des Homunkulus klärt sich auf.
15. Juli 1947
Polizeikommissar zieht endlich aus unserer Wohnung aus, nachdem er uns 10 Tage an der Nase herum geführt und Mutter mit ihren Möbeln und Sieben Sachen in unserm Hof und in der Diele hat warten lassen. Es waren bittere Tage voller Spannungen, Drohungen und dunkler Gefahrenmomente. Mutter richtet sich das vordere Zimmer recht gemütlich ein, wodurch eine meiner größten Sorgen schwindet. Auch in materieller Hinsicht sorgen wir für sie, so daß sie Mela nicht zu sehr zur Last fallen wird. Nur an Gold lassen wir ihr 15 Münzen zur freien Verfügung zurück.
26. Juli 1947
Ich fahre nach Hermannstadt: 1. weil wir unsere Beteiligung an der Schuster A.G. liquidieren wollen, 2. um einige Tage vor unserer Abreise von Mediasch zu verschwinden. Wir befürchten nämlich alle, ich könnte kurz vor unserer Abreise plötzlich wieder verhaftet werden, wodurch unser ganzer Plan ins Wasser fallen würde.
29. Juli 1947
Erwin Wittstock besucht mich, um zu erfahren, wie man das macht, einen Reisepass zu erlangen. Alle Welt beneidet uns jetzt um unsere Pässe. Unsere Abreise beschäftigt die siebenbürgische Öffentlichkeit in einem ungewöhnlichen Ausmaße.
1. August 1947
verkaufe ich unsern Anteil an der Schuster A.G. – nach langen schwierigen und zum Teil sehr aufregenden Verhandlungen mit der Albina – schließlich Herrn Deputan für 300 Goldmünzen. Davon erhalte ich gleich 200 und zwar in Form von rumänischen Goldmünzen und 610 Dollar. Mutter besucht mich und nimmt von mir Abschied.
Am 2. August 1947
fahre ich über Mühlbach – Besuch bei Ridelis – nach Alvincz. Viktor liegt krank im Bett, Ilse kann sich kaum auf den Füßen halten – ein bezeichnendes Bild des sterbenden Sachsentums. Der Stadtpfarrer von Mühlbach weiß nicht, von was er im kommenden Winter leben wird. Der Taxifahrer, der mich nach Alvincz bringt, ist besoffen. Ebenso seine zwei Kumpanen, die vorne mitfahren. Kaum sind wir 2 km unterwegs, fängt der Motor an zu dampfen, das Kühlwasser ist ausgeronnen. Leute in der N he werden geweckt, damit aus ihrem Hof Wasser geholt werden kann. Endlich sind wir auf der Station: der Zug hat 60 Minuten Verspätung. Es ist Mitternacht. Vollmond. Die Zeit vergeht rasch, denn gerade finden sich Harom Szal Ceigng in der Bahnhofswirtschaft ein (ein Primgeiger, ein Zimbelspieler und ein Akkordeonspieler) und musizieren in der unbeschwingtesten Weise. Ich nehme es als ein gutes Zeichen. Und wirklich trifft Trudl ungefähr um 2 mit Klaus, Hans und Dorothee und unendlich vielem Gepäck ein und ich steige zu ihr in den Schlafwagen. Heimat, lebe Wohl!
3. August 1947
Die unerhört strenge Kotrolle in Curtici. Unser Gepäck wird nicht weniger als 2 Stunden durchstöbert. Klausens Fotoapparat und meine schöne Schreibmaschine wird uns abgenommen. Abends in Wien. Gespräch mit Kary.
4. August 1947
Der eiserne Vorhang an der Eusdorfer Brücke. Der russische Posten ist stur wie nur ein Asiate es sein kann. Wir müssen raus und befinden uns bei Sonnenaufgang mit Sack und Pack und der kleinen Dorothee auf einer grünen Wiese neben dem Schienenstrang. Doch schon 3 Stunden später gelingt es uns mit List und Tücke und sehr viel Glück dennoch durchzuschlüpfen: an der nahe gelegenen Straßenbrücke von Eusdorf. Als der russische Posten den Schlagbaum hochzieht und wir auf einem LKW die Brücke passieren, schlagen wir uns alle vier das Kreuz. Nun geht’s rasch weiter. In Linz erwischen wir den Mittagszug nach Salzburg, abends 8 Uhr treffen wir in Böckstein ein, allerdings mehr tot als lebendig. Nur die kleine Dorthee wäre gerne noch weiter gefahren.
11.– 19. August 1947
Meine erste Erkundungsfahrt nach Vöcklabruck (Egon), Altmünster (Frostrat Fröhlich), Traunkirchen (Graffius Herberth). Meine Aufgabe ist Winterquartiere zu suchen und die Schulverhältnisse zu erkunden, außerdem die Verbindung mit den Landsleuten herzustellen. Von den letzteren lerne ich auf dieser Reise 3 Gruppen kennen: a) die Gruppe bei Vöcklabruck geführt von Dr. Keinzel, die Gruppe in Altmünzter, geschart um Forstrat Fröhlich, b)c) die Gruppe in Traunkirchen und Ebensee (Prof. Kelp und Ing. Herberth Graffius).
22.– 27. August 1947
Meine zweite Fahrt nach Altmünster. Aber zuerst geht es nach Linz, um die Schulangelegenheit beim Landesschulamt zu sondieren. Besuch bei Ing.Fritz Kelp und Frau. Schiffshotel „Franz Schubert“. Holzhäuserfirma Schaffer. Finster u. Co., Schubertstraße 25. In Altmünster, Sonntag den 24. August, großes Musik- und Trachtenfest. 20 Musikkapellen. Die Ansprache des Festredners im Schloßgarten. Der Nußbaumer Hof. Zwei Tage darauf löst mich Hermann ab und ich fahre nach Golling, unsern zwei großen Jungen entgegen.
28. August 1947
Der glücklichste Tag, die schönste Nacht . . . wir liegen zu sechst im Heu der Almhütte unter dem Purtscheller Haus und das große Erzählen beginnt. Otti hat sich sehr verändert. Er hat ein scharf geschnittenes Gesicht, ja beinahe schon männliche Züge bekommen. Die Sprache, ob deutsch oder sächsisch, sprudelt aus ihm hervor. Er hat sich geistig stark entwickelt und ist ganz von seinem Studium erfüllt.
– FORTSETZUNG FOLGT –
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