Die „Indianer“ aus Mühlbach


Eines Tages im Sommer der 60- er Jahre hatten sich wieder einmal mehrere Kinder der Altgasse bei einem von uns (Name spielt keine Rolle) zum Spielen eingefunden. Nach einiger Zeit kamen wir auf das Thema Indianer zu sprechen, was in dieser Zeit sehr oft vorkam. Es geisterten gerade die Karl May Filme durch die Kinos. Diese lösten große Begeisterung bei Jung und Alt aus. Also beeinflusst durch diese Filme, und die Lebensweise der Wanderzigeuner die oft am Stadtrand ihre Zelte aufschlugen, beschlossen wir auch so etwas wie einen Tipi oder Zelt zu bauen.

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Oglala Tipi um 1892
(Bild: Wikipedia.org)

Da man für unser Vorhaben auch einige Materialien und auch einen geeigneten Platz brauchte war uns klar dass es mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. Wir hatten Glück der Vater unseres Freundes wo wir uns gerade befanden, hatte unsere lauten Gespräche mit bekommen, und erlaubte uns am Gartenende, wo sich ein Streifen mit Grass und Obstbäumen befand, unser Vorhaben auszuführen.
Also gingen wir gemeinsam an das Gartenende und sahen uns um wo der geeignete Platz für unser Zelt war. Na ja, nach einigem Hin und Hehr wurden wir uns einig. Jetzt begann der schwierigere Teil des Vorhabens und zwar mit was für Materialien. Da hatte der Sohn eine Idee und zwar die Erforschung der Väterlichen Scheune. Gesagt, getan. Wir schlichen in die Scheune vom Gartenanfang und begannen zu suchen. Bald entdeckten wir in einer Ecke der Scheune ein Bündel alter Fisolenstecken die übrig geblieben waren. Wir suchten uns die besten aus und schafften sie zum „Bauplatz“. Der Bau begann. Wir versuchten die Fisolenstecken nach Indianerart in einem Kreiß mit dem oberen Ende gegeneinander zu lehnen so wie wir das in den Indianerfilmen gesehen hatten.
Das gestaltete sich schwieriger als wir gedacht hatten, ob wohl das in den Filmen sehr einfach aussah. Die Stecken rutschten immer wieder voneinander ab. Da musste eine Lösung her.
Jemand von uns hatte die Idee die Stecken oben zusammen zu binden. Alle waren erleichtert und wir suchten jetzt einen Stick oder so was Ähnliches um die Idee in die Tat umzusetzen.
Wieder in der Scheune fanden wir an einem Balken an einem Nagel aufgehängt ein Stück rostigen Draht, der auch den Zweck erfüllte. Also nahmen wir ihn mit. Wir stellten fest dass wir zu klein waren um an das obere Ende der Fisolenstecken zu gelangen. Wir versuchten es zu erst in dem der Kleinste von uns auf die Schultern des Kräftigsten steigen sollte um die Stecken zusammen zu binden. Nach mehreren gescheiterten Versuchen gaben wir es auf.
Die Lösung kam wieder vom Vater des Freundes (der unser Treiben heimlich beobachtet hatte wie sich nachher herausstellte). Wir waren überrascht als er plötzlich mit einer kleinen Stehleiter bei uns auftauchte. „Das mache ich lieber selber“ sagte er, „Ich habe keine Lust einen von euch mit gebrochenen Gliedern ins Spital zu fahren müssen“.
Er stieg auf die Leiter und band die Fisolenstecken fachgerecht mit einer Beißzange, die er aus der Hosentasche zauberte, zusammen.
„Fängst du jetzt auch an zu spielen“ ertönte eine Frauenstimme. Wir hatten die Mutter des Freundes gar nicht bemerkt als sie heran kam.
„Würde ich gerne“, sagte er „Aber ich bin am Scheinstall ein Brett zu ersetzen, und habe gesehen das die Kinder nicht weiterkommen und bin ihnen ein bisschen zur Hand gegangen. Jetzt bin ich fertig“.
Nach dem die Eltern des Freundes sich entfernt hatten bestaunten wir unseren Rohbau. Ja, das sah schon ganz gut aus. Das Problem war dass uns die Zeltplane fehlte. Man überlegte hin und her und fand keine Lösung. Schließlich beschlossen wir am nächsten Tag weiter zu machen wen uns neue Ideen kommen sollten.
Inzwischen neigte sich der Tag zum Abend und alle gingen ziemlich betrübt nach Hause.
Ich denke dass man mir die Betrübtheit angesehen hatte als ich Heim kam. Meine Mutter fragte mich was den los sei mit mir. Ich erzählte ihr was sich so am Tag zugetragen hatte, und das uns bei unserem Bau nur noch die Zeltplane fehlte. Wir nachtmahlten und anschließend ging ich ins Bett.
„Leg dich ins Bett, und Morgen ist auch ein Tag. Da sieht die Welt wieder anders aus“, sagte meine Mutter. Am nächsten Tag, nach den Erledigungen der Aufgaben die ich in der Familie zu machen hatte, rief mich meine Mutter und sagte: „ Schau her, ich gib dir diese Kotzen (leichte Sommerdecken) aber Ihr sollt sorgen und sie nicht kaputtmachen. Das sind die Kotzen die wir immer ins Grüne nehmen. Die könnt ihr als Zelt benutzen. Aber ich will sie wieder, ja?“
„Danke, du bist die Beste Mama der Welt“ sagte ich und husch war ich verschwunden.
Mit zwei Kotzen unterm Arm bewaffnet ging ich wieder zur Baustelle. Die andern waren schon alle da und saßen herum unschlüssig was man jetzt machen sollte. Als sie mich den Gartenweg näher kommen sahen hellten sich ihre Minen auf und es begann ei emsiges Hin und Hehr. Die Kotzen wurden schnell um das Gerüst aus Fisolenstecken gespannt und fertig war unser Indianerzelt.
Nach dem Allgemeinen Bestaunen unseres Werkes hatte jemand die Idee, man müsse jetzt auch wie richtige Indianer aussehen. Da wir aber nichts hatten das uns in dieser Richtung weiter half beschlossen wir uns wenigstens eine „Stammesgerechte“ Kriegsbemalung anzulegen.
Die Lösung war schnell gefunden. Wir schlichen in den Hühnerhof wo der große Kupferkessel stand, der zum kochen des Schweinefutters bestimmt war. Da er in diesem Moment noch nicht im gebrauch war öffneten wir das Türchen und strichen mit den Händen an die Außenseite des Kessels der voller Ruß war und begannen die Zeremonie der Kriegsbemalung. Darüber waren unsere Eltern gar nicht erfreut als wir unser Spiel beendeten und wieder Daheim ankamen.
Und so ging ein weiterer Tag meiner Kindheit zu Ende die ich nicht missen möchte.
(Ich habe gezielt einige Begriffe typisch für Mühlbach benutzt)

Horst Theil

 

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